1. Maria Zierold (Misericorde)
Lyrik 1. Platz
Misericorde - Maria Zierold
Ich rief deinen Namen, sah ein letztes Mal dein Lächeln. Immer mehr
verblasst die Erinnerung. Schlafend liegst du vor mir, atmest ganz flach und
siehst so friedlich aus.
Ich denke daran, wie der Wind mit deinem wunderschönen schwarzen Haar
spielte. Wie du deinen Kopf auf meine Schulter gebettet hast und ich in deine
blauen Augen blickte, die klarer waren als das weite Meer.
Seit Jahren hast du sie geschlossen.
Und in all diesen, brachte ich nicht den Mut auf, dich zu besuchen, erst jetzt,
wo dein Haar schneeweiß ist.
Kannst du mir verzeihen, dass ich nicht zu dir stand.
Ich frage mich, ob sie dich hier in all der Zeit gut behandelten.
Ob du wieder erwacht wärest, wenn ich jeden Tag über dich gewacht und
deine Hand gehalten hätte?
Ich schließe meine müden Augen und sehe dich vor mir, du saßt weinend
unter einem alten Baum und wolltest nicht mehr leben.
Mit meiner Frau, ging ich oft nachmittags auf diesem Wege spazieren und
ließ meinen Blick in die Ferne schweifen, bis er dich traf.
Ich konnte diesen Moment nicht vergessen und suchte noch am gleichen
Abend denselben alten Baum auf, mit der vagen Hoffnung, du seiest noch dort.
Tatsächlich hast du immer noch dort ausgeharrt, hast schrecklich gefroren und die Tränen in deinem
Gesicht wollten nicht trocknen.
Ich erschrak als ich dich anblickte und wusste, ich liebe dich.
Ich durfte dich nicht lieben, einen verlorenen Jungen, nicht älter als 16,
obgleich uns höchstens 4 Jahre trennten.
Ich musste gehen, versprach dir aber wiederzukommen, du mir, dass du leben
wolltest.
Oft sagtest du grausame Dinge über dich selbst und ich konnte dich nicht
verstehen. Was hatte man dir angetan?
Deine Lippen, sanft und weich, deine lilienweiße Haut, so glatt und rein.
Du - so schön wie eine Puppe, selbst jetzt noch, ganz anders als ich.
Gern sagte ich dir das, doch du hast mich gefragt, wer schon mit einer
kaputten Puppe spielen wolle, wer einen Vogel ohne Flügel fliegen sehen will.
Sofort schrie ich dich an, Ich wollte.
Ein flüchtiges Lächeln umspielte deinen Mund, als du mich zu Boden warfst
mit deinen Worten und meine Illusionen zerstört hast.
Dennoch lagen wir zusammen im Gras, schauten hinauf zu den Sternen,
voller Sehnsucht hast du mich gefragt, ob wir uns dort oben wohl lieben
durften. Ob dort eine andere Welt sei, die uns aus weiter Ferne an ihrer
Schönheit im Traume teilhaben lässt.
Diese Nacht gehörte nur uns beiden, ich berührte sanft diese schöne – deine
Haut. Liebevoll streichelte ich über deinen zerschundenen Körper, küsste die
vielen Narben.
Silbern perlte salziges Nass über deine Wangen.
Ich brannte darauf, unsere Seelen, unsere Körper zu vereinigen, du liest
geschehen. Ich erneuerte meine Worte der Liebe zu dir, ohne darauf zu
achten, dass du mir nie geantwortet hast.
Mir wurde klar, dass ich auch nicht anders war, ich konnte dir nicht einmal
helfen, so rannte ich davon. Deine Tränen vermischten sich mit denen des
Himmels, in ihrer Einsamkeit und Sehnsucht alle gleich.
Wochen vergingen in denen mich die Schuld quälte, ich musste dich
wiedersehen, wollte die Wahrheit, die voller Lügen war.
Ich hatte dir so wehgetan, dennoch, hast du mir an diesem Tage dein Lächeln
geschenkt.
Ich rief deinen Namen, bevor nur noch Stille zu mir durchdrang.
Ein Augenblick verging. Dein wunderschöner Körper lag leblos vor mir auf
der Straße. Kostbares Rot verlies deinen Körper.
Es bedeckte alles um mich herum, als ich dich in meine Arme presste.
Die Stille löste sich auf, ich sah in schockierte Gesichter, schrecklich verzerrt,
wie ihre Schreie.
In diesem Chaos in mir, schnitt sich die Klarheit in mein Bewusstsein. Ich lies
dich fallen, rannte erneut davon und verleugnete dich.
Heute kann ich es nicht begreifen. Wisse aber ich habe dich nie vergessen und
liebe dich noch immer.
Meinen Kindern und Enkelkindern erzählte ich oft von einem besonderen
Menschen, sie wussten es nicht besser und dachten, ich erzähle ihnen ein
Märchen. Ich lies meine Geschichte gut enden. Ich erzählte ein Ende, welches
ich mir immer gewünscht hatte, wieder und immer wieder.
Ständig frage ich mich, warum wir nicht in eine andere Zeit geboren wurden,
vielleicht auch einfach an einen anderen Ort. Warum dies alles geschehen
musste, warum ich nie den Mut hatte zu dir zu stehen oder wenigstens von
dir abzulassen.
Sag mir, bist du böse? Hasst du mich gar?
Ich hätte so viel früher mit dir gehen sollen. Komm, gib mir deine Hand,
öffne deine Augen und sage mir, dass du mit mir gehen willst. Hinauf zu den
Sternen an den Ort, den du dahinter vermutet hast. Keiner kann uns jemals
finden.
Wieder frage ich dich, ob du mir verzeihen kannst. Und wirst du mir verzeihen, dass ich jetzt für dich entscheide?
Ein letztes Mal, küsse ich sanft deine Stirn, streiche über dein Haar.
Du bist so wunderschön.
Nun schließe ich meine Augen für immer, bin froh, dass du mit mir gehst.
Nun hören wir für immer auf zu atmen und unsere Flügel tragen uns hinaus
in die Nacht, hoch zu den Sternen, in ein anderes Leben, in dem wir frei sind,
in dem wir uns lieben dürfen.
Fast versagen meine Kräfte, doch ich schaffe es, die Kabel von dir zu lösen,
bette meinen Kopf auf deiner Brust, während wir beide den letzten Atemzug
tun.