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Forschungsgebiet Medizinische Kommunikation

Dr. Sascha Bechmann - Forschungsgebiet Medizinische Kommunikation

In Gesprächen zwischen Medizinern und Patienten kann es schnell zu Missverständnissen kommen. Oft haben Verständigungsprobleme in der ärztlichen Praxis weitreichende Folgen für die Gesundheit des Patienten. Auf der anderen Seite trägt eine gute Kommunikation dazu bei, Krankheiten frühzeitig richtig zu diagnostizieren. In vielen Fällen ersetzt ein gutes Gespräch die Spritze oder das Rezept. Die Kenntnis kommunikativer Grundregeln ist für Ärzte daher unerlässlich.

Medizinische Kommunikation - was ist das eigentlich?

Der Begriff Medizinische Kommunikation vereint zwei auf den ersten Blick völlig unterschiedliche Forschungsfelder. Zum einen geht es bei der Medizinischen Kommunikation um Medizin im weitesten Sinne. Medizin ist – grob gesagt – die ärztliche Heilkunst und umfasst in erster Linie anatomisches, physiologisches und therapeutisches Wissen und Können. Zum anderen besteht ärztliches Handeln immer auch zu einem Großteil aus Kommunikationshandlungen, ist also geprägt durch einen sozialen Prozess der Informationsvermittlung im Gespräch. Daraus ergibt sich eine erste Annäherung an das Thema:

Medizinische Kommunikation ist eine spezielle Form der Kommunikation, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit medizinischem Handeln steht.

Dabei ist der Zusammenhang zwischen Kommunikation und Medizin weit enger, als man gemeinhin annimmt.

Medizinische Kommunikation findet immer dann statt, wenn Ärzte mit Patienten sprechen. Das ist zwar korrekt, aber das, was wir Medizinische Kommunikation nennen wollen, erschöpft sich in sprachlichem Handeln bei Weitem nicht. Auch viele nonverbale Zeichen, die nichts mit Sprache im eigentlichen Sinn zu tun haben, können kommunikativ gedeutet werden. Sprechen ist nur eine mögliche Form der Kommunikation zwischen Arzt und Patient – und sie ist nicht unbedingt die wichtigste.
Medizinische Kommunikation findet also immer dann statt, wenn Mediziner und Patienten miteinander interagieren – sprachlich oder nicht-sprachlich. So gesehen ist jeder Kontakt zwischen Ärzten und Patienten eine Situation, die als medizinische Kommunikation gedeutet werden kann, weil durch den Kontakt bereits kommunikatives Handeln evoziert wird – auf beiden Seiten.
Dabei ist es nicht so, dass man medizinische Kommunikation auf ein oder zwei Besonderheiten reduzieren könnte. Die Merkmale, die das Gespräch zwischen Medizinern und Patienten von normalen Alltagsgesprächen unterscheiden, sind äußerst vielfältig und sehr speziell. Der wichtigste Unterschied zu unserer normalen Alltagskommunikation ist:

Medizinische Kommunikation ist nicht nur kommunikatives, sondern in erster Linie medizinisches Handeln.

Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten findet nicht nur in der medizinischen Sphäre statt, sie ist viel mehr zugleich Teil der medizinischen Behandlung. Mit gutem Recht kann man davon sprechen, dass Kommunikation medizinisch wirksam sein kann – und zwar nachweislich.

Der Beruf des Arztes erfordert neben fundierten medizinischen Kenntnissen Fingerspitzengefühl und ein offenes Ohr für die Probleme und Belange der Patienten. Das betrifft nicht nur die Hausärzte. In erheblichem Maße sind nahezu alle ärztlichen Disziplinen durchdrungen von der Notwendigkeit, sowohl mit Patienten als auch mit deren Angehörigen, sowie mit ärztlichen und nichtärztlichen Kolleginnen und Kollegen in einen Dialog zu treten. Je nach Fachrichtung entfallen viele Stunden des Tages in der ärztlichen Praxis auf das Arzt-Patienten-Gespräch. Die ärztliche Heilkunst tritt – was den zeitlichen Rahmen angeht – häufig hinter die Gesprächsführung zurück.

Auch ist der Heilungserfolg vielfach untrennbar geknüpft an eine richtige und zielführende Diagnose, so dass insbesondere der Anamnese und der Befunderhebung maßgebliche Rollen in der Therapie vieler Erkrankungen zufallen. Trotz einer immer differenzierter werdenden Medizintechnik sollte nicht vergessen werden, dass das Gespräch zwischen Arzt und Patient zusammen mit den körperlichen Untersuchungen das wichtigste diagnostische Instrument darstellt, mit dessen Hilfe bis zu 90 Prozent aller Diagnosen richtig gestellt werden können. Die Kosten, die volkswirtschaftlich durch mangelhafte Diagnosestellungen und damit durch falsche Therapieoptionen entstehen, sind neben dem oftmals hohen Leidensdruck für die Patienten ein wichtiger Grund, die ärztliche Gesprächsführung auf den Prüfstand zu stellen.

Erfahrene Ärzte wissen: Eine gute ärztliche Behandlung ist ohne eine gelungene Gesprächsführung bisweilen schwierig und in manchen Fällen gar unmöglich.

Diese Einschätzung entspringt nicht allein dem Empfinden vieler Mediziner und ist daher keine introspektive Erkenntnis, sondern wissenschaftlich belegt. Studien haben gezeigt, dass Patienten mit körperlichen Erkrankungen durch eine gute und angstnehmende Zuwendung des Arztes einen signifikant verkürzten Krankheitsverlauf und eine gesenkte Nebenwirkungsquote aufweisen. Es konnte auch bewiesen werden, dass die Lebensqualität von Patienten mit schweren chronischen Erkrankungen deutlich sinkt, wenn die Kommunikation zwischen Arzt und Patient mangelhaft ist, weil Ärzte den Patienten nicht als gleichberechtigten Partner in das Gespräch integrieren und dessen Sorgen und Nöte nicht ausreichend berücksichtigen.

Die Wirkung von Kommunikation im medizinischen Bereich ist gut vergleichbar mit einer Waagschale: Gute Kommunikation kann Krankheiten lindern, schlechte Kommunikation kann Krankheitsverläufe und insbesondere das subjektive Krankheitsgefühl der Patienten negativ befördern. Zahlreiche Studien belegen, dass eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation für die Genesung der meisten Patienten eine essentielle Basis darstellt: Ein erfolgreiches Gespräch wirkt sich also nachweislich äußerst positiv auf die Gesundheit der Patienten aus.

Medizinische Kommunikation ist somit sowohl der Begriff für eine bestimmt Art des Kommunizierens als auch in der Sache selbst durch und durch medizinisch – so wie eine Lotion oder eine Salbe medizinisch sein können. Das ist das Besondere an Medizinischer Kommunikation: Sie ist Kommunikation und Medizin zugleich. Und weil dieser Umstand bemerkenswert ist, wurde das Buch „Medizinische Kommunikation. Grundlagen der ärztlichen Gesprächsführung“ geschrieben – um die Besonderheiten der ärztlichen Gesprächsführung hervorzuheben und Ihnen Hilfsmittel an die Hand zu geben, Ihr eigenes kommunikatives Handeln als Arzt wirkungsvoll zu gestalten. Denn: Mit der intuitiven Gesprächskompetenz, die man für alltägliche Gespräche benötigt, kommt man als Mediziner allein oft nicht weit. Es erfordert ein geschultes Bewusstsein auf Seiten der Ärzte, um alle Facetten des Patientengesprächs richtig deuten zu können und um das Gespräch effektiv zu steuern.

Das Gesprächsverhalten von Ärzten in Deutschland steht seit einigen Jahren intensiv auf dem Prüfstand und ist Gegenstand zahlreicher empirischer Untersuchungen, sowohl in der Soziologie, der Linguistik und der Psychologie als auch in der Medizin selbst. Die Ergebnisse, die zahlreiche Studien bislang hervorgebracht haben, werfen ein eher düsteres Bild auf die kommunikative Kompetenz von Ärzten und medizinnahen Berufen.
Viele Jahrzehnte standen technische Fähigkeiten im Medizinstudium und in der medizinischen Weiterbildung im Fokus und sie unterlagen einer guten und ständigen Qualitätskontrolle. Dass das auch so bleibt, ist mehr als sinnvoll. Schließlich üben Ärzte ihre Tätigkeiten an Menschen aus – sei es eine Herzoperation, eine Magenspiegelung oder das Ziehen eines Zahns. Umso erstaunlicher ist es, dass das ärztliche Kommunikationsverhalten (das weit mehr als nur das Sprechen umfasst), eher selten überprüft wurde und bis heute ein eher stiefkindliches Dasein im Kanon der medizinischen Fächer fristet.

Deswegen muss die Ausbildung an den Hochschulen künftig stärker als bisher dazu beitragen, dass kommunikative Kompetenzen ebenso geschult werden wie rein fachpraktische ärztliche Fähigkeiten und Kenntnisse. Man könnte sogar fordern, dass die kommunikative Kompetenz zusammen mit der nicht unwesentlichen Organisationskompetenz (z.B. Zeit- oder Praxismanagement) Teil der ärztlichen Kompetenz sein sollte.
Aus der folgenden logischen Kausalkette ergibt sich die dringende Notwendigkeit, einen eigenen Ausbildungsbereich Medizinische Kommunikation in die medizinische Lehre als festen und unverzichtbaren Bestandteil des Medizinstudiums zu integrieren – und zwar interdisziplinär und kontinuierlich bis zum Examen:

  1. Kommunikation ist ein Prozess der menschlichen Interaktion.
  2. Der klinische Zugang zu Patienten wird v.a. kommunikativ vermittelt.
  3. Im medizinischen Bereich wird Kommunikation daher zielgerichtet eingesetzt.
  4. Zielgerichtete Kommunikation ist nicht intuitiv.
  5. Zielgerichtete Kommunikation, die nicht intuitiv ist, ist professionelle Kommunikation.
  6. Professionelle Kommunikation erfordert Fachwissen.
  7. Fachwissen muss wissenschaftlich fundiert sein und darf nicht auf Introspektion o.ä. basieren.
  8. Wissenschaftlich fundiertes Fachwissen erfordert eine fachdidaktische Vermittlung.
  9. Fachdidaktische Vermittlung findet im universitären oder schulischen Bereich in Fächern und Kursen statt.
  10. Medizinische Kommunikation ist ein Unterrichtsfach im Kanon medizinischer Fächer.
  11. Medizinische Kommunikation muss von Fachwissenschaftlern erforscht und (mit) unterrichtet werden.

Kommunikation ist also kein intuitiver Prozess mehr, wenn er mit dem Ziel der medizinischen Wirksamkeit betrieben wird. Medizinische Kommunikation ist hochgradig professionelle Kommunikation, so dass sich daraus die Notwendigkeit eines eigenen Fachs im Kanon der medizinischen Fächer ergibt. Dabei muss dieses Fach interdisziplinär verwurzelt und mit den eher technischen oder biologischen Fächern dicht verwoben sein.

Hier aber liegt der Hase im Pfeffer: Alle bisherigen Versuche, medizinische Kommunikationstechniken und -prinzipien in der universitären Ausbildung zu verankern, sind daran gescheitert, dass es in der Medizin wenig befriedigende Modelle zur Arzt-Patienten-Kommunikation gibt. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass das medizinische Gespräch ganz häufig auf Improvisation beruht, die notwendig ist, um den Gesprächsraum für Patienten und Ärzte gleichermaßen offen zu halten. Dieser Umstand führt dazu, dass Algorithmen, wie sie in der Medizin sehr häufig üblich sind, für die medizinische Kommunikation kaum sinnvoll zu entwickeln sind. Das ist auch der Grund, warum es zwar einige Ratgeber zu diesem Thema gibt, warum diese aber kaum hilfreich sein können: Es gibt keine immer gültige und auf jede Situation passende Checkliste für ein gutes Gespräch zwischen Arzt und Patient. Was es vielmehr gibt, sind grundlegende Kommunikationsprinzipien, deren Kenntnis das Improvisieren steuern und lenken kann. Deswegen liegt das Hauptaugenmerk des Studienbuchs „Medizinische Kommunikation. Grundlagen der ärztlichen Gesprächsführung“ nicht auf simplen Tipps und Tricks, sondern auf eben solchen wissenschaftlich fundierten Grundlagen. Die universitäre Ausbildung angehender Mediziner sollte ebenfalls den Fokus auf kommunikationswissenschaftliche Modelle legen, denn sie sind die Basis für das ärztliche Gesprächshandeln. Oder kurz: Man muss erst einmal verstanden haben, was Sprache und Kommunikation überhaupt sind, um sich Gedanken über das richtige Kommunizieren machen zu können.Ausgehend von diesen Überlegungen, die dem 1. Kapitel meines Studienbuchs „Medizinische Kommunikation" entnommen sind, ergibt sich die Notwendigkeit einer weiteren wissenschaftlichen Erforschung medizinischer Kommunikationsprozesse - sowohl im Bereich der Mündlichkeit als auch aus textlinguistischer Perspektive. Geplant ist aktuell eine Studie zur Sprache des Arztbriefes.Wenn Sie Fragen zu diesen Projekten haben oder Anregungen für weitere Forschung oder zu meinem Studienbuch liefern möchten, freue ich mich über eine Nachricht.In kondensierter Form werden hier zudem aktuelle Forschungsergebnisse publiziert, die im Rahmen sprachwissenschaftlicher Studien an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (z.B. Projektseminar „Fachsprachenforschung“) erhoben werden.

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