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Edition Gender

Herausgegeben von Henriette Herwig und Jürgen Herwig

  • Band 1: Helene Böhlau: „Halbtier“ (2004) 
  • Band 2: Elsa Asenijeff: „Ist das Liebe? / Unschuld“ (2005)   
  • Band 3: Helene Böhlau: „Der Rangierbahnhof“ (2004)
  • Band 4: Elsa Asenijeff: „Tagebuch einer Emancipierten“ (2006)   
  • Band 5: Clara Viebig: „Vor Tau und Tag“ (2008)   
  • Band 6: Grete Meisel-Hess: „Fanny Roth“ (2010)

Die edition GENDER im Turmhut-Verlag verfolgt das Ziel, historische Texte von Frauen interessierten Leserinnen und Lesern ebenso wie der literaturwissenschaftlichen Forschung erneut zugänglich zu machen. Damit soll auch ein Beitrag zur Korrektur des nach wie vor androzentrischen literarischen Kanons geleistet werden.
Die Sichtung und Neubewertung literarischer Texte von Frauen – zunächst aus der Zeit um 1900 – zeigt, dass hier zahlreiche Autorinnen zu Unrecht aus dem literarischen Erbe verdrängt wurden. Selbst wenn man unterstellt, dass nicht in allen Fällen die Qualität einer „Höhenkammliteratur“ erreicht wurde, so leisten manche dieser Werke gerade unter dem Gesichtspunkt der Geschlechterverhältnisse einen maßgeblichen Beitrag zum sozialgeschichtlichen, medizinhistorischen, familienrechtlichen oder bildungssoziologischen Diskurs ihrer Zeit.
Die Themen der Romane und Erzählungen, die zur Edition vorbereitet werden, entspringen in besonderer Weise geschlechterdichotomischen Konflikten. Liebesbeziehung und weibliche Sexualität, weibliches Künstlertum, Probleme unverheiratet bleibender Frauen, Schwangerschaft und Geburt unehelicher Kinder, soziale Ausgrenzung unverheirateter Mütter, sexuelle Doppelmoral der Gesellschaft, Vergewaltigung in der Ehe, Probleme der Konvenienzehe, weibliche Homosexualität, Auseinandersetzung mit der Frauenbewegung – dies sind Facetten weiblicher Erfahrungswelt, die hier exemplarisch aufgearbeitet werden.
Die Virulenz der Frage nach einer weiblichen Rollenidentität in Auseinandersetzung mit patriarchaler Vorherrschaft in Familie und Gesellschaft führte im Umkreis der ersten Frauenbewegung zu literarischen Konstruktionen, die aus historischer wie auch aus kulturanthropologischer Sicht von bleibendem Interesse sind. Dabei zeichnen sich bereits feministische Entwürfe ab, die in der Theoriebildung noch in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Rolle spielen. Inwiefern auch eine ganz eigene weibliche Ästhetik zur Entfaltung kommt, gälte es durch vergleichende Forschungen neu zu bewerten.
Obwohl Autorinnen wie beispielsweise Helene Böhlau oder Gabriele Reuter zu ihren Lebzeiten einen hohen Bekanntheitsgrad und eine ebensolche Relevanz für den Geschlechterdiskurs erreichten, hat eine einseitig am Bedürfnis männlicher Schul- und Hochschulbildung orientierte Kanonbildung dazu geführt, dass ihre Werke seit zum Teil mehr als sechs Jahrzehnten nicht mehr aufgelegt wurden.
Im Jahr 1895 erschien beispielsweise Gabriele Reuters Roman „Aus guter Familie“, ein Jahr später Theodor Fontanes „Effi Briest“. Beide behandeln auf je eigene Weise das Problem der höheren Töchter. Während Reuters Roman den Fontanes an Auflagenhöhe und Verbreitung zunächst übertraf (bis 1931 wurden insgesamt 28.000 Stück verlegt) und auch die politische Frauenbewegung beeinflusste, führten einseitige Kanonisierungsprozesse dazu, dass „Effi Briest“ bis heute einen Platz im schulischen und universitären Kanon behauptet hat, während Reuter in Vergessenheit geriet.
Der männlich geprägte Begriff einer Autonomieästhetik hat im Umkehrschluss zu einer Dequalifizierung all derjenigen Texte geführt, die den Anspruch verfolgten, Partei zu ergreifen. „Tendenzliteratur“ wurde geradezu ein Schimpfwort in der zeitgenössischen Literaturkritik. Hier wäre eine Neu-Evaluation aus heutiger Sicht dringend geboten.
Die Präsenz der Werke von Autorinnen um 1900 auf dem Buchmarkt und ihre Zugänglichkeit für Bibliotheken, Institute und Lehrveranstaltungen stellt die unabdingbare Voraussetzung dafür dar, dass eine erneute Auseinandersetzung in Wissenschaft wie auch im Lesepublikum stattfinden kann.
Die zeitliche Distanz zu den Texten selbst, ihrem Sprachgebrauch und ihren Symbolbezügen legt es nahe, kommentierte und mit Anmerkungen und Anhang versehene Einzeleditionen in preisgünstigen Taschenbuchausgaben vorzulegen, die auch junge Leserinnen und Leser ansprechen und bei der Erarbeitung des zeitgeschichtlichen Hintergrundes helfen können. Die Übertragung aus Frakturschrift in heute gebräuchlichen Zeichensatz dient dem gleichen Ziel. Faksimiles, Fotos und Dokumente hingegen zielen auf Veranschaulichung dessen, was durch den historischen Abstand entrückt worden ist.

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