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Eva Christopeit

Düsseldorfer Autorinnen - Eva Christopeit

Vita

Sie wurde am 14. August 1964 in Düsseldorf geboren, wo sie auch ihre Kindheit und Jugend verbrachte.

An der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf studierte sie ab 1986 Germanistik und Italianistik. Studienhalber hielt sie sich mehrfach in Italien auf, in Perugia und in Neapel, wo sie 1990/91 für ein Semester als Erasmus-Studentin lebte.

Eva Christopeit schrieb Prosatexte, Lyrik und arbeitete gleichzeitig bildnerisch und zeichnerisch. In Verbindung mit dem Literarischen entwickelte sie Bildgeschichten mit einem besonderen satirischen Duktus.

Seit 1987 konnte sie in Literatur- und Kulturzeitschriften publizieren und wurde zu Lesungen eingeladen, u. a. vom Sassafras. Für die Lokalredaktion Meerbusch der „Westdeutsche Zeitung“ schrieb sie als Freie Mitarbeiterin von 1988 bis 1989.

Ab 1990 war sie ehrenamtliche Mitarbeiterin der Düsseldorfer Frauenzeitschrift Sie wurde Gasthörerin an der Kunstakademie Düsseldorf bei Professor Nickels. Eva Christopeit engagierte sich seit 1990 in der Interessengemeinschaft „Frauen in der bildenden Kunst“, angesiedelt an der Kunstakademie Düsseldorf. Hier war sie u. a. für die Pressearbeit verantwortlich.

Seit 1991 wirkte sie als Dozentin für Alphabetisierung in der VHS Düsseldorf und seit 1992 war sie freie Mitarbeiterin bei der Illustrierten Coolibri. Sie schrieb verstärkt Artikel über bildende KünsterInnen. Im Jahr 1992 verlebte sie drei künstlerisch anregende Monate in New York.

1993 realisierte sie eine Kurzhörspielproduktion für Antenne Düsseldorf in Zusammenarbeit mit dem Literaturbüro NRW. Titel des Beitrags: „Rein‘ dich ein in den Reim“. Sie schrieb für die Malkästenblätter und steuerte Grafiken bei. 1994 schloss sie das Studium erfolgreich als Magistra Artium ab.

Eva Christopeit starb mit nur 33 Jahren am 10. Oktober 1997 in Düsseldorf. 

Publikationen

  • „Eine junge Frau“. In: Zeitschrift für Alles. Roths Verlag, Basel 1987, S. 106.
  • „<Auf der Straße>“. In: Zeitschrift für Alles. Roths Verlag, Basel 1987, S. 104.
  • „Zylinder auf Schweineschwänzchen“. Mit Zeichnung. In: Im Angebot. 2. Jg. Nr. 3, 1989/90, S. 72 und 73.
  • „Der MROTZEK“. 7 Kurztexte. In: Literaturhintergrund. Selbstverlag, Düsseldorf 1990.
  • „Möbliert“. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992.
  • „Party“. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992.
  • „WAGNIS“. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992.
  • „Auffällig“. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992.
  • „Zweckgemeinschaft“. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992.
  • „Klimawechsel“. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992.
  • „Schauplätze“. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992.
  • „Kirmis“. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992.
  • „Männer 1992“. Zeichnungen mit Text. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992.
  • „Erst habe ich …“. Mit Zeichnung und Aquarell. In: Blaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992.
  • „Angefangen habe ich …“. Mit Glanzbildern. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992.
  • „Klara Ebstein. Ein Leben in Bildern“. Text, Zeichnung, Aquarell. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992 und in: Blaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1993.
  • „Pension“. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992 und in: Blaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1993.
  • „Die Tanzdiele“. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992.
  • „Blickwinkel“. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992 und in Blaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1993.
  • „Lüneburger Heide“. 1. Fassung. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992; 2. Fassung. In: Blaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1993.
  • „Mezzogiorno“ (= Silvester im Mezzogiorno). In: Terz, Febr. 4/1992, S. 45; in: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992; und in Blaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1993.
  • „Nachruf“. In: Blaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1993.
  • „Vor Ort 1“ . In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992 und in Blaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1993.
  • „Vor Ort 2“. In: Hellblaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1992 und Blaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1993.
  • „Sehr geehrte Frau Ritterin,…“. Fiktiver Brief. In: Malkastenblätter, Nr. 2, Juni 1993, S. 7 und in Blaues Heft. Selbstverlag, Düsseldorf 1993.
  • „Reih’ dich ein in den Reim“. Kurzhörspiel. Kurzhörspielproduktion für Antenne Düsseldorf und Literaturbüro NRW, 1993.
  • „Mittagstisch“. In: Malkastenblätter. Düsseldorf, Januar 1994.

Texte

Silvester im Mezzogiorno (1991)

Über der Gasse kracht es, zuckt es.
22 Uhr. Detonationen zögern unsere Schritte hinaus. Auf der
Hauptstraße ist Autostille. Kein Taxi fährt vorbei.
Unsere Blicke suchen schreckhaft die Bürgersteige ab.
Feuerwerkskörper explodieren. Die Uhren sind vorgestellt.
Vorneujahrlicher Kriegszustand.

An den Häusermauern gehen wir in Deckung. Dann tasten wir uns
wieder zur Straße vor, spähen, lugen, bangen.
Ein Knallkörper schlägt dicht neben uns zu Boden. Vom Balkon
gegenüber wird scharf geschossen. Wir werden angepeilt. Unser Fluch
stärkt die Schützin, macht ihr Mut und uns Angst auf der
menschenleeren Straße.

Wir kehren um, schleichen ins Haus, rufen ein Taxi durchs Telefon.
Die Gasse ist eng, der Wagen wird nicht in den Hinterhof kommen.
Wir müssen die beschossene Gasse zur Hauptstraße zurück, winken.
Schritt für Schritt fußen wir voran, kauern wieder an der Mauer,
halten Atem an und betreten die Straße.

Ein Auto macht sich breit, kein Taxi fährt vorbei, niemand holt uns.
Es knallt. Schwefelnebel liegt über der Nachbarschaft und wird zu
Kopfschmerz. Akustische Krater reißen ins Ohr, verhallen,
wie Triangeln.

Sprengkörper schlagen die Alarmanlagen parkender Autos ein.
Die Sirenen mischen sich mit der Sprengwut.
Wir zucken zum Haus zurück.
Jetzt stehen Kinder im Hof und verbrennen Holz.
Ein Junge tritt Flammen mit Füßen.
Auf dem Asphalt raucht ein verendeter Kracher.
Der Himmel ist erleuchtet.
Die Zentrale meldet sich nicht mehr.

Wir äsen in der Wohnung, grasen die Küche nach Eßbarem ab.
Die Party findet zu Hause statt. Spaghetti schlängeln sich durch Öl
und Knoblauch.
Eine fettige Teigmasse, Menüverzicht. Ein Restposten Wein füllt zwei
Gläser.

Wir öffnen die Balkontür über den Dächern der Stadt. Im Talkessel
dampft es, knallt es.
Schwarzer Weihrauch steht jetzt im Raum.
Noch zwei Minuten bis Mitternacht.

Wir sehen die Dächer nicht mehr, nur einen unbestimmten
Ascheschleier, der sich über den feierlichen Himmel spannt.
Reißende, zuckende, zischelnde Raketen platzen, Lichter zerstreuen
sich, Bauten vibrieren unter der Hochspannung, in die grobes
Zündwerk hineinwuchtet.
Schwefel, überall Schwefel, frohes Neujahrsgefecht.
Gequälter Nachthimmel, noch Stunden später.
Krachen im Kessel
Zerstörung total
Federvieh flieht.

Evchen (1992)

Früher dachte sie sich in andere Kinder hinein, die sie lieber gewesen wäre. Sie fand, sie rede zu viel, obwohl sie eigentlich still war. Manchmal kam es in Sprechsalven aus ihr heraus und ihre Mutter sagte, sie solle sich wieder einkriegen.

Sie hätte gerne alles richtig gemacht. Aber oft machte sie Fehler. Sie nahm sich dann vor: Achtung, fertig, los, keine mehr zu machen. Nichts mehr zu sagen, daß andere die Augen verdrehen ließ, nicht mehr so schnell beleidigt zu sein und nicht mehr die Nase hochzuziehen. Sie stieg dann aufs Fahrrad und schaute an jeder Straßenecke übertrieben genau nach rechts und links und wieder rechts, auch wenn überhaupt kein Auto kam, weil überhaupt nicht viel Verkehr war, da wo sie wohnte.

Aber es dauerte nicht lange und sie machte wieder einen Fehler, zog die Nase hoch oder sagte etwas Falsches und dann fing sie wieder von vorne an und sagte sich halb im Stillen: Achtung fertig los und machte eine Faust, so fest sie konnte und alles sollte ihr gelingen. Ab jetzt, sagte sie dann, straffte ihren Körper und fand sich neu und voller Chancen nun perfekt zu werden.

Sie hatte viele Spielkameraden. Die dicke Doris, Axel mit dem Glanzbilderkoffer, die dreckigen Kinder und Uwe. Sein schmaler Kopf wackelte immer leicht hin und her, als wolle er nicht festsitzen auf dem mageren Hals. Er wohnte gleich an der Eisenbahnbrücke. Roller und Kettcars standen im Hof herum. Das war alles was sie von ihm wollte und es machte ihm nichts aus. Er lieh ihr seine Geräte und wenn er sprach, klang es, als käme er den Worten nicht nach und er hielt den Mund leicht aufgesperrt, die vollen Lippen wie zum ständigen Nachtrag bereit. Uwe überließ ihr dann das Feld und hielt sich mit seinem langen gekrümmten Rücken am Rande, als hätte er seine Kindheit an ein frühzeitiges Gebrechen verloren.

Die Italiengeschichte (1992)

Die Kühe haben ihre Fladen dort gelassen, wo die Fußspitzen hinzeigen. Leone lächelt und sagt nichts. Die schmalen Jeansbeine betonen die Verhaltenheit seiner Hüften, die in keine Taille münden. So gut ist Esthers Italienisch nicht, ihn darauf aufmerksam zu machen.

Im Wagen rutscht das Dach kleingefaltet hinter ihre Köpfe. Späte Sonne fließt wie geschmolzenes Kupfer, nur eine Brise blonder über die Sitze. In der Trattoria stehen die Türen offen. Esther wählt die Speisen nach dem Klang der Worte und nach Leones Gesten und der Mimik seines Kommentars. Er lacht über Esthers Kauderwelsch, und seine Augen funkeln braun, und es hängen Wimpern daran, die dunkel sind, dunkler als die Haut seiner hohen Stirn, die von buschigem Haar umkränzt wird. Seine Stimme könnte sie in jeden Schlaf singen und vor Alpträumen bewahren.

Sie hat seine Nase mit dem Knick schon näher kommen sehen und ihre kurze Nase daran gestoßen und den Abdruck seiner Lippen in ihr Bett nebenan getragen. Aber in seinem Arm kann sie nicht bleiben. Und er läßt sie nicht bloß von sich nippen. Nur ganz kann sie ihn haben, und das kann sie nicht, nicht im Herzen und nicht fern der Heimat. Wenn das Telefon für Esther klingelt, antwortet sie der Männerstimme, die in ihrem Ohr wohnt, entrückt, wie von fern, während Leone mit dem Geschirr in der Küche hantiert. Dann geht Esther schnell an ihm vorbei, denn ihr Gewissen reut die Worte, die tonlos durch die Muschel fielen.

Leone kocht, was er kann. Spaghetti. Er versteht das mit Esthers Gewissen. Wir können Freunde sein, sagt er mit einem Augenaufschlag und senkt seine Schelmenmiene über den Teller. Esther tut so, als wäre sie nie älter als fünf Jahre geworden. Sie mag Leones Schoß zum Draufsitzen, als Schemel, damit sie ihm besser im Gesicht herumfuchteln kann. Sein Körper ist so ein Ruhekissen, wenn Esther das Feuer auf Sparflamme hält. Sie weiß nicht, wo sie mit den großen Flammen hin soll, die ihr Mund entfacht hat und die sich über den Rücken hinabzüngeln. Esther windet sich im schmeichlerischen Atem und nimmt unvermittelt die Arme aus dem Spiel. Leone erhebt sich. Seine Stimme klingt offiziell. Er will sich nicht mehr begrabschen lassen, wenn Esther nicht die Reihenfolge einhalten kann. „Wir sind bloß Freunde“, sagt Leone zu seiner Kameradin. Der Bernhardiner wird zum Königspudel. Es müssen erst Stunden vergehen, und sie darf wieder nach seiner Pfote greifen.

Leones Wohnung ist eine Herberge. Esthers Zimmer ist auch Veras Zimmer. Die Schlafstellen sind die Raumteiler zweier Privatsphären, die sich an Kopf- und Fußende berühren. Die Kumpelin in Vera kommt mit allen Menschen zurecht. Sie packt das Leben an der Wurzel und steht kernig in breiten Hüften darin. Ihre ausgedehnten Wiener Vokale überziehen auch die italienischen Silben mit ihrer Herkunft. Geduldig schreibt sie Lektion für Lektion in ihr Heft. Sie will, so wie Esther, eine Sprache verstehen, die zu sprechen sie noch nicht gelernt hat. Vera weiß nicht, wie es um Esther steht. Leone ist das Geheimnis einer zufälligen Wohngemeinschaft, das Dach über dem Kopf, das Esther auf einem Adresszettel in die Hände fiel. Die Zeit schweißt Vera und Esther wie zu einer Dauerübernachtung zusammen. Doch nur flüchtig haben sich die Geschichten am Küchentisch zusammengeknüpft, scheinen die Gesichter zum Greifen nah, während Esther den Fernseher bei der Antenne packt, die zimperlich querschlägt.

Leones Freunde sind beiläufig hereingeschneit und im Sofa versunken. Auf dem Tisch liegt jetzt allerlei Lotteriespiel. Nummern werden aus einem Sack gezogen, und Erbsen markieren die Treffer auf den Zahlenbrettern. Leones Schenkel lassen sich von Esthers Schenkeln ansaugen und verharren. Über das Spielbrett gebeugt, berührt sein Atem ihre Wangen. Er ist das lautmalerische Echo der Gewinnzahlen, damit Esther kein Treffer entgeht. Sie steckt die gewonnenen Lire ein. Ihre Augen senken sich unterm Neonlicht. Auf der Hammondorgel läutet Leone die letzte schlafwandlerische Begegnung ein.

Esther liegt im dunklen Abteil zwischen dicken Männerleibern auf ihrer Pritsche. Lichtstreifen flutschen durch die Jalousie über Esthers Nachtatem. Ob er sie wiedersehen werde, wollte Leone wissen. Da hatte sie ihm die Monate vorgezählt, die Monate bis Klingglöckchen. Dann war er verschwunden, der Zug war noch nicht angefahren. Leone stand im Halteverbot und Esther wollte keinen Abschied, der sich zuwinkt bis zur Unkenntlichkeit.

Esther geht mit ihrem Beutel durch den Waggon. Sie blickt nüchtern in den Toilettenspiegel.

Die Lautsprecherstimme einer deutschen Station klingt wie der Widerhall ihrer Rückkehr.

Eine unbestimmte Freude lacht sie an.

Die Stunden der vorrückenden Landstriche sind gezählt.

Esthers Ankunft schließt die Gedächtnislücken.

Die Taschen auf der Ablage fallen ihr mit einem Satz entgegen.

Die Türen wollen aufgestoßen werden.

Der Körper, der ihr entgegenläuft, erscheint ihr plötzlich fremd und mager. Sie schaut durch das freundliche Gesicht hindurch und taucht ab in Bilder, die Leone ihr auf’s Auge gedrückt hat. Sommerbilder.

Auf dem Bahnsteig ist es längst Herbst.

Die Baden-Württemberg-Geschichte (1992)

Im Lokal bestellt Esther mittags Kalbsbraten und Spätzle. Die Kellnerin macht ein rundes, gütiges Gesicht. Sie ist sehr stark in den Armen. Der Raum ist ganz in Holz gehalten. Die Tische stehen einfach. Einer wird von lauten, alten Männern umkränzt.

Claas teilt sein Maultaschenomelette in kleine, spitzwinklige Dreiecke. Esther trinkt ein helles Bier. Claas nippt am Baden-Württemberger und sagt: „Ausgezeichnet.“

Das Hohenloher Schloß erreichen sie mit dem Auto. Im Lichthof des Schlosses rührt sich nichts. Esther drückt eine Klinke. Das Fenster öffnet sich und eine dunkelfrisierte Dame streckt ihren Kopf heraus. „Ich komme!“ „Das macht dann acht Mark“, sagt die Person, kaum daß sie an der Türschwelle zum Stehen kommt. „Damit Sie mir nachher nicht weglaufen.“

Claas und Esther folgen der Geschäftsfrau nach unten. Dort stehen Menschen Spalier, weil die Vorgruppe gerade heimkehrt. Die Dame im Lodenmantel kann nun ihre Führung beginnen. Die Formation folgt ihr zweireihig in die Gemäldegalerie. Dort setzt eine Streuung ein. Man bleibt lose fixiert auf die Sprecherin. Die findet nicht die richtige Tonlage.

„Mit der Sprechpuppe stimmt etwas nicht“, sagt Esther. Claas antwortet nicht. Esther sucht das Weite im Nebenraum. Hier hängen Pistolen und Waffenallerlei an den Wänden. Esther hätte gerne etwas davon. Aber sie führt keine Zange zum Lösen des Befestigungsdrahtes bei sich.

Die Führerin trägt ihre gefütterten Stiefel durch die hinteren Säle, da wo Licht brennt. Esther friert an den Füßen. Sie steht bei Claas. Der wärmt sie nicht. Die Vitrinen zeigen schönes Porzellan. Ein Streifen Sonne saugt sich voller Staub. Der Geruch stört etwas beim Schauen.

Abends platziert der Ober sie im Restaurant an einen Tisch unterhalb der vertäfelten Jagdszenen. Claas versinkt in einer Chaiselongue. Aus dem Out dringt eine Panflöte. Kleine Butzenscheiben neutralisieren die unbeständige Wetterlage. Die Kerze entzündet sich am Streichholz.

„Wenn es hier bloß nicht so rotgeräumt wäre“, meint Esther.

„Genieß es einfach“, erwidert Claas in Spendierhosen. Esthers Maultaschen liegen bei den Möhren, die Claas nicht leiden kann, weil sie geriffelt sind. Sein Steinpilzteller ist ein Flop, wegen der Champignons.

„Zahlen“.

Der Kellner bringt ein weißes Tellerchen mit einer Stoffserviette garniert.

Esther legt die Zahlmasse nieder.

Die Tanzdiele (1993)

Sie trug eine Bluse mit Zierleiste und Kragenrund und tanzte mit der Salamanderin. Die tanzte nicht gerne mit Stocky, weil sie nicht aus den Hüften herauskam, so gelehrig sie in anderen Dingen war. Stocky hatte einen Burschen mitgebracht, der sich geduckt hielt, um seine Präsenz zu schmälern.

Eine großgewachsene Person mit Mandelaugen stand zuschauend an der Tanzfläche, ohne den Mund ganz zu schließen, so wie ein Kaninchen, das während des Möhrenverzehrs kurz innehält. Sie trug Schwarz am Körper, Schwarz, das sie verhüllte und ihre Formen verwischte.

Auch wenn die Große gerne tanzte, so schien sie sich nie wirklich mit dem Raum zu verweben. Ihr Körper behielt immer etwas Hervorstechendes, Zurückgenommenes. So als würde auf Zehenspitzen wandeln, was auf den Boden gestellt gehört.

Ihr Rücken war wie von einer unsichtbaren Last leicht gebeugt, und ihren freundlichen Worten schwang manchmal ein Anflug von Entsetzen bei. Sie hatte sich ihren Protest gegen falsche Freunde sicher hart erkämpft, und der Ausdruck davon lag beinah wie etwas Aufgesetztes in ihrem gutmütigen Gesicht.

Die Frau, die jetzt bei Stocky stand, hielt sich ans Glas und bekam heute die Zähne nicht auseinander. Stocky imitierte ihre Brummigkeit und zwickte sie auf der Tanzfläche mehrmals in den Bauch, eine linkische wenn auch gutgemeinte Geste, die die Brummige mit gequältem Lächeln honorierte.

Stockys Begleiter war von auffallend hölzerner Statur und faßte beim Tanzen kaum Fuß.

Die Brummige fühlte sich durch ihn wieder in Schulzeit und Pubertät versetzt. Sie erinnerte sich an den Partykeller von Uwe und an die Attraktion des Abends, die darin bestand, daß Uwe für alle Pommes Frites aus der Bude holte, die seinen Eltern gehörte.

Die Brummige mochte jetzt nicht mit solchen Rückblenden konfrontiert werden und schnitt den Kameraden mit der Ponyfrisur. Seine Unterlippe war leicht vorgerückt und das runde Kinn so plastisch, als hätte sich seine Zunge dort zum Verweilen hineingeschoben.

Inzwischen fegte Stocky von einem Musikstück aufgefordert über die Tanzfläche, wobei sie die Mittänzerinnen in ihre ruckhaften Bewegungen einbezog, was ihr das ein oder andere Lächeln einbrachte. Lieblich fielen ihr die kastanienbraunen Haare ins Gesicht, die nicht das Wilde in ihren Augen verbargen, das Begehren, das sich bis in die Hüften hinab wand, wo es unerfüllt blieb.

Die Mürrische war nun auch in Schwung gekommen und ihr Gesicht entspannte sich allmählich über den prickelnden Inhalt ihres Glases.

Die Salamanderin war schon stark angetrunken und strahlte wangenrot vor Glückseligkeit. Ihre enge Streifen-Strumpfhose hatte etwas Obszönes, das sich in der Betonung des Schrittes verdichtete, wo die Hose zur zweiten Haut wurde. Die Salamanderin hatte zu Hause lange vor dem Schrank gestanden und überlegt, welche Zielgruppe sie ansprechen mochte. Die Mürrische war dabei gewesen und hatte ihr geraten, nicht wieder die Unkomplizierte zu mimen.

Die Salamanderin und die Mürrische hatten mal was miteinander gehabt und seit damit Schluß war, saß die Salamanderin auf dem Schoß von einer mit fliehender Stirn, die rückenfrei trug.

Die Mürrische trug einen engen Einteiler unter dem poppigen zugeknöpften Hemd, damit ihre Brüste beim Tanzen in Vergessenheit gerieten. Ihre schlanken Beine mündeten in großen schwarzen Schuhen, die sie poliert hatte.

Die Salamanderin saß heute abend nicht auf dem Schoß der Rückenfreien. Etwas mußte vorgefallen sein, worüber die Salamanderin sich ausschwieg. Sie hatte sich in ihrer Streifenhose leicht verausgabt und empfand ihre Umgebung als um einige Umdrehungszahlen zu langsam. Ihre Stimmung schlug plötzlich um. Sie behauptete sich zu langweilen und sah einen Kontakt mit ihrer Zielgruppe nicht mehr in Aussicht gestellt. Sie meinte sogar, daß eine solche gar nicht im Raum sei, nahm ihren Überziehpullover und verabschiedete sich.

Die Große würde später wieder ein Taxi nehmen. Seit dem nächtlichen Überfall am Kinderspielplatz ging sie kein Risiko mehr ein und sparte lieber am Essen. Sie blieb zu gerne bis Ladenschluß.

Auch wenn die Tanzdiele für Paare ihresgleichen reserviert war, so kamen vereinzelt Besucher, auf die das Lokal bloß eine Anziehung des Exotischen ausübte.

Stocky zog hastig an ihrer Zigarette und hielt mit der anderen Hand die Bierflasche. Bei ihr standen die akademische Berufenheit und das zukünftige Ansehen in der Institution auf dem Spiel. Deshalb behielt sie draußen für sich, was sie drinnen preisgab.

Das Lokal leerte sich zunehmend, als die Mürrische sich noch mit Blicken herumtrieb, die sie auf ein Augenpaar heftete, das zu einer kräftigen jungen Frau gehörte. Die Mürrische übernahm nicht gerne die Rolle der Älteren, an die die Erwartung des Werbens geknüpft war. Ihr gelang es jedoch nach Stunden zumindest, den Namen der Jungen zu erfragen und sie trug ihn, freudig auf den Lippen führend, nach Hause.

Stocky und die Große standen eng beisammen und hätten eigentlich kein schlechtes Paar abgegeben; nur, daß sie beide das Andere suchten und sich zu gleich waren, als daß die ersehnten Abenteuer in Worte gekleidet, noch den Zauber des Unausgesprochenen gehabt hätten.

Literarischer Lebenslauf (1994)*

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Edition Fotokopie Düsseldorf/Bilk 1988
  • Edition Copyright Christopeit. Mit Illustrationen von Sukullus, Paris 1986
  • 99 Gedichte. Verlag Erbsensuppe Karlplatz, Düsseldorf

Literaturzeitschriften

Zahlreiche Veröffentlichungen u.a. in: „Die Tjoven. Der Pappkamerad“

Lesungen

  • Sind so kleine Hände, Stoffeler Kapellchen, Düsseldorf
  • Timo und Dixi, im Hundesalon Derendorf mit Trimm-Performance und Pettiküre
  • Zahlreiche Bistro-Lesungen u.a. Bei Toni, Auf’m Hennekamp, Zur Tränke

Stipendien, Preise

  • Hossa Gildo Literaturpreis 1987
  • Literaturpreis Rhein, Main, Donaukanal 1988
  • Arbeitsstipendium Freie Fahrt mit VRR (bis Langenfeld), seit 1986
  • Literaturpreis Winnetou für Stadtschreiber, Bad Segeberg 1989

Aktionen

  • Projektwoche Literatur im Tierheim, Düsseldorf 1987
  • Gastprofessur Literaturtage Berglesen u.a. auf dem Großklöckner, der Reiteralm und der Kneitleralm (Obb.) 1987
  • Literatur-Klangperformance mit Köbes (Saxophon), Kulturtage Flehe 1989, gesponsert durch Babycalamares GmbH.

Hörspiel

  • „Zur Wurst gehört Senf“, ein Kriminalstück rund um den Viktualienmarkt. In Zusammenarbeit mit dem BBS München, 1990

Sonstiges

  • Unveröffentlichte Handschriften seit 1979
  • Reisen ins In- und Ausland u.a. 1982 (Schloß Burg), 1983 (Southampton)

*Eingereicht beim Kulturamt Düsseldorf für die Ausgabe „Literatur in Düsseldorf“, Ausgabe 1994

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