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Astrid Gehlhoff-Claes

Düsseldorfer Autorinnen - Astrid Gehlhoff-Claes

Vita

  • Geboren am 06.01.1928 in Leverkusen (Wiesdorf).
  • Vater Dr.jur. Heinrich Claes, Bürgermeister(1921 – 1933) wurde von den Nationalsozialisten aus seinem Amt vertrieben – Umzug nach Köln
  • Studium der Geschichte und Germanistik bei Richard Alewyn an der Universität Köln
  • 1952 Geburt der Tochter Undine Gruenter, später erfolgreiche Autorin
  • 1953 Promotion mit der ersten Dissertation über Gottfried Benn.
  • 1957 erste wissenschaftliche Arbeit über Else Lasker-Schüler für die deutsche Forschungsgemeinschaft unter dem Titel "Das Gesicht und die Maske“
  • 1975-1988 Gründung und Leitung des gemeinnützigen Vereins "Mit Worten unterwegs. Schriftsteller arbeiten mit Inhaftierten"; sie organisierte rund 1000 Lesungen und lektorierte zahlreiche Gefangenentexte. Sie engagierte sich zudem in Einzelbetreuungen und Bewährungshilfen.
  • Sie war Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller und in der GEDOK.
  • 2008 wurde ihr 80. Geburtstag im Düsseldorfer Heine-Institut gefeiert.
  • Astrid Gehlhoff-Claes starb am 1. Dezember 2011 in Düsseldorf.

Auszeichnungen

  • 2003 Trude-Droste-Gabe der Stadt Düsseldorf
  • 2002 Stipendium der Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW (für: „Abrahams Opfer“).
  • 2000 Ehrenstipendium der Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW.
  • 1992 Ehrengast Villa Massimo, Rom.
  • 1989 Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen.
  • 1986 Bundesverdienstkreuz I. Klasse.
  • 1985 Stipendium des Deutschen Literaturfonds.
  • 1965 Förderpreis zum Immermann-Preis, Düsseldorf.
  • 1964 Literaturförderungspreis der Stadt Köln.
  • 1962 Förderpreis zum Gerhart-Hauptmann-Preis für ihr Schauspiel „Didos Tod“
  • 1957 Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Publikationen

Prosa

  • Inseln der Erinnerung. Begegnungen und Wege. Düsseldorf: Grupello Verlag, 2002
  • Einen Baum umarmen. Briefe 1976-1991 (zus. mit Felix Kamphausen). Krefeld: Van Acken 1991
  • Abschied von der Macht. Roman. Krefeld: Van Acken, 1987
  • Erdbeereis. Erzählungen. Düsseldorf: Erb Verlag, 1980

Lyrik

  • Nachruf auf einen Papagei. Gedichte. Krefeld: Van Acken 1989
  • Gegen Abend ein Orangenbaum. Gedichte. Düsseldorf: Erb Verlag 1983
  • Meine Stimme Mein Schiff. Gedichte. Köln, Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1962
  • Der Mannequin. Gedichte. Wiesbaden: Limes 1956

Dramentexte

  • Abrahams Opfer. Zwei Theaterstücke. Düsseldorf: Grupello Verlag 2004
  • Didos Tod. (Collection Theater: Text, 18). Köln, Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1964

Sachbuch

  • Der lyrische Sprachstil Gottfried Benns. (Ungedruckte Dissertation von 1953). Düsseldorf: Grupello Verlag 2003

Beiträge in Anthologien (In Auswahl):

  • Gedichte. In: Spätlese. Hrsg. von Michael Serrer. Düsseldorf: Grupello 2003
  • Mein Sankt Gereon. Erzählung. In: Romanik in Köln. Köln: Greven 2001
  • Am Fluss. Gedichte. In: Alla Pfeffer (Hg.): Zeitzeugen
  • Bekenntnisse zu Düsseldorf. Düsseldorf: Düsseldorf 2001
  • Rheinallee. Erzählung. In: Alla Pfeffer (Hg.): Straßenbilder. Düsseldorf: Düsseldorf 1999

Mit-/Herausgeberschaft

  • Gottfried Benn: Briefe an Astrid Claes 1951 – 1956. Hrsg. von Bernd Witte. Stuttgart: Klett Cotta Verlag, 2002
  • Bis die Tür aufbricht. Mit Worten unterwegs. Literatur hinter Gittern. Anthologie. Düsseldorf: Erb Verlag 1982
  • Else Lasker-Schüler: Briefe an Karl Kraus. Köln, Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1959

Übersetzungen/ Überarbeitungen

  • Gofredo Parise: Il padrone: Der Chef (zus. mit Sigrid Gori). Köln, Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1966
  • Henry James: Notebooks: Tagebuch eines Schriftstellers. Köln, Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1965
  • James Joyce: Pomes Penyeach: Am Strand von Fontana. Gedichte (zus. mit Edgar Lohner). Wiesbaden: Limes 1957
  • Richard Church: Dog Toby: Im Grenztunnel verirrt. Köln: Winkler 1956
  • Prudence Hill: Wind and weather permitting: Abenteuer in Wind und Wasser. Köln: Winkler 1955
  • Wystan, H. Auden: Poems: Der Wanderer (zus. mit Edgar Lohner). Wiesbaden: Limes 1955
  • Daniel Defoe: Robinson Crusoe. Frei bearb. Köln: Winkler 1955
  • Charles Dickens: David Copperfield. Köln: Winkler 1954
  • Patricia Lynch: Fiddler’s Quest: Das Mädchen mit der Geige. Köln: Winkler 1954
  • R. Riemersheim: Dagmars glücklichste Zeit. Ein Mädchen erlebt Holland. Köln: Winkler 1954
  • Sindbad, der Seefahrer und Zwei Abenteuer des Kalifen Harun Arraschid. 2 Märchen aus 1001 Nacht. Neu bearb. Köln: Winkler 1954Alison Wright: The Blades: Das Haus auf Rädern. Köln: Winkler 1955

Pressestimmen

Zum Tod von Astrid Gehlhoff-Claes:

Lyrikerin Astrid Gehlhoff-Claes gestorben

Wie erst jetzt bekannt wurde, ist am 1. Dezember 2011 die Lyrikerin und Übersetzerin Astrid Gehlhoff-claes 83-jährig in einem Düsseldorfer Pflegeheim gestorben. Sie hatte 1953 mit einer Arbeit über Gottfried Benn promoviert und wurde von ihm in ihren frühen Jahren als Lyrikerin gefördert. Ihr Briefwechsel mit dem Dichter erschien 2001, zwei Jahre später wurde auch ihre Dissertation erstmals veröffentlicht. Neben zahlreichen Lyrikbänden erschienen 2002 autobiografische Aufzeichnungen unter dem Titel «Inseln der Erinnerung». Astrid Gehlhoff-claes war die Mutter der Schriftstellerin Undine Gruenter.

(Neue Zürcher Zeitung, 21.01.2012)

Trauer um Dichterin Astrid Gehlhoff-Claes

Spaziergänger in den Rheinwiesen von Oberkassel werden die kleine, zarte Frau noch gut in Erinnerung haben. Wie sie mit ihrem geliebten Hund Noah spazieren ging, einem reinrassigen „Cavalier King Charles“, der sie überallhin begleitete – zu all ihren Lesungen, auf Reisen, oft nach Rom. Astrid Gehlhoff-Claes war eine eigensinnige, feinnervige, beeindruckende Erscheinung – in ihrer Dichtung wie in ihrem Leben. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist die Lyrikerin bereits am 1. Dezember 83-jährig in einem Pflegeheim gestorben.

Wer an Astrid Gehlhoff-Claes denkt, muss sogleich an Gottfried Benn denken. Das ist ungerecht gegenüber dem sehr eigenständigen Werk der Lyrikerin; aber diese Beziehung ist eben auch ein Markstein ihrer literarischen Entwicklung. Als erste in Deutschland hatte Gehlhoff-Claes über Benns Sprachstil promoviert. Der Dichter suchte die Nähe der jungen Forscherin, las ihre Gedichte und geriet in Verzückung. „Ich wollte, es wäre von mir“, urteilte er ziemlich pompös über eins ihrer Gedichte. Man ahnt, dass nicht nur die Verse Benn verzückten. Nachzulesen ist das in dem wunderbaren Briefwechsel der beiden, der nach rechtlichen Streitereien erst vor knapp zehn Jahren erscheinen konnte. Benn hat ums „Liebe Kindchen“ geworben; die Angebetete wusste sich mit allerlei Ausreden dem zu entziehen. Häufig dienten dazu Unfälle und Krankheiten. Darauf Benn in einem Brief: „Ihnen passiert viel, finde ich . . . Ich erlaube mir, über Ihre kranken Stellen zu streicheln.“

Die Gedichte hatten die Lobeshymnen von Benn („verblüffend“, „unvergleichlich“, „wunderbar“) nicht unbedingt nötig; aber sie verhalfen ihnen natürlich dazu, weithin gehört zu werden – wie „Der Delphin“, eine Metapher der Glückssuche und zugleich Zeichen der Unerreichbarkeit. Benn hat Gehlhoff-Claes einmal gefragt, warum sie einsam sei. Als die Angesprochene sich ertappt zeigte, fügte er hinzu: „Gedichte, wie Sie sie mir schickten, entstehen anders nicht.“

Astrid Gehlhoff-Claes, die 2003 für ihr Gesamtwerk mit der Trude-Droste-Gabe (10 000 Euro) geehrt wurde, ließ viele an ihrer Dichtkunst teilhaben, auch Gefangene, denen sie regelmäßig vorlas. In ihrer Autobiografie „Inseln der Erinnerung“ erzählt sie auch von ihrem einzigen Treffen mit Benn. Am Ende des Kapitels dann der verblüffende Satz: „Die Erde war schön.“

(Lothar Schröder in: rp-online, 8.01.2012)

Zu: Gottfried Benn: Briefe an Astrid Claes 1951 – 1956 (2002):

[…] „Die Frauen! Meine größte Leidenschaft war eine Ausländerin gewesen, die nie den Namen Nietzsche gehört hatte. Eine andere, mit der ich ein paar Jahre verbrachte, sagte oft: ,so was wie Dich finde ich alle Tage', dann verschwand sie nach Wien u. nach 3 Monaten eines Nachmittags tauchte sie wieder auf mit einer Salami u. einem Blumenstrauß u. es sollte wieder weitergehn. 3 Monate später nahm sie sich das Leben. Von meinen Freundschaften endeten zwei durch Erschossenwerden (eine von einem eifersüchtigen Freund, eine aus politischen Gründen kürzlich in Russland), vier durch Selbstmorde, zwei weitere sehr nahe Beziehungen starben so.“

Die Frauen! Fast zwanzig Jahre nachdem Gottfried Benn dem Freund Oelze seine Vorliebe für Affären mit eher ungebildeten Damen mehr herausposaunte als gestand (Brief vom 29. Juli 1938), verwickelte sich der Dichter in eine Doppelaffäre mit zwei jungen Literatinnen, die den fast siebzigjährigen Dichter häufig in intellektuelle Dispute verwickelten: über seine Verse ebenso wie über die eigene Lyrikproduktion. Denn Ursula Ziebarth und Astrid Claes, wiewohl grundverschieden, schrieben beide, Lyrik wie Prosa, und zögerten nicht, den Meister in deutlichen Worten zu kritisieren, wenn es ihnen nötig schien. „Sie sind der Dichter der Morgue und der Trunkenen Flut, Sie dürfen mit dem Namen Gottfried Benn doch heute nicht mehr machen, was Sie wollen. Sie haben die Welt beschenkt, wie sie es nie verdient hatte; sie hat dieses Geschenk angenommen. Was veranlasst Sie also zu dieser Ungeduld, die Sie dem von Ihnen selbstgestellten Anspruch untreu werden lässt? Warum warten Sie nicht mehr?“

Gottfried Benn hatte kein Jahr mehr zu leben, als ihm die junge Astrid Claes diese Frage stellte. Die Mißbilligung der Bewunderin, die sich mit ihrem Brief vom 12. September 1955 als Hüterin des Werkes empfiehlt und auch bereit ist, seinen Rang gegen dessen Schöpfer selbst zu verteidigen, hatte sich an Benns Gedichtband "Aprèslude" entzündet. Es mag Zufall sein, daß sich diese Kritik ausgerechnet auf jene Gedichte bezog, auf die Ursula Ziebarth keinen geringen Einfluß gehabt haben soll, aber es wirft doch ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnisse der beiden jungen Frauen: Sie waren Rivalinnen. Daß Benn diese Rivalität nicht unrecht war, ja daß er sie geradezu befördert hat, durfte man lange vermuten. Die soeben erschienene Ausgabe von Benns Briefen an Astrid Claes läßt die Hypothese zur Gewißheit werden.

Schon einmal, vor fünf Jahren, waren diese Briefe im Klett-Cotta-Verlag angekündigt worden. Sogar eine Rezension ist 1997 erschienen. Ihr Verfasser hatte nach den Fahnen gearbeitet und nicht damit gerechnet, daß der Verlag den Band zurückziehen würde. Über die Gründe wurde damals viel spekuliert. Unumstritten ist, daß Ursula Ziebarth einen Anwalt beauftragte, den Verlag darüber zu informieren, daß sie die sie betreffenden Passagen der Briefe einsehen möchte, und sich den Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte vorbehielt. Ob es stimmt, daß Astrid Claes sich weigerte, dem Verlag die Originalbriefe vorzulegen, wissen nur die Beteiligten selbst. Als im vorigen Jahr „Hernach“ erschien (F.A.Z. vom 23. August 2001), die Ausgabe der etwa 250 Briefe Benns an Ursula Ziebarth, versehen mit ausführlichen „Nachschriften“ der Empfängerin, erwachte das Interesse an den Claes-Briefen erneut.

Astrid Claes hatte Benn, über dessen Werk sie promovieren wollte, im November 1951 erstmals geschrieben und um ein Treffen gebeten. Nachdem zunächst die Briefe in großen, fast zwölf Monate währenden Abständen gewechselt werden, entwickelt sich ab April 1954 eine dichte Korrespondenz, die in der vorliegenden Ausgabe sechsundsechzig Schreiben umfaßt: lange, inhaltsreiche Briefe, kurze, rasch hingeworfene Nachrichten, einige Telegramme. Ob damit sämtliche Briefe an Astrid Claes vorliegen, darf jedoch bezweifelt werden. Zwar versichert der Verlag, man habe die 1997 angekündigte Ausgabe ohne jede Änderung übernommen, aber schon ein erster Blick in die alten Fahnen zeigt, daß dies nicht ganz richtig sein kann - umfaßte die Edition 1997 65 Positionen, so versammelt sie heute 66 Schreiben. Darauf geht die editorische Anmerkung im Anhang nicht ein. Allerdings wird hier darauf hingewiesen, daß neun Briefe bereits veröffentlicht waren. Max Rychner hatte sie in seine 1957 erschienene Ausgabe der "Ausgewählten Briefe" aufgenommen. Daß damit ein großer Teil der schönsten und bedeutendsten Briefe bereits publiziert war, mindert kaum den Wert der neuen Ausgabe: Man liest Benns Episteln gern als Solitäre, und zwar nicht nur dort, wo sie von der Lyrik handeln und dabei auch ins handwerkliche Detail gehen. Aber erst im Zusammenhang der gesamten Korrespondenz werden Entwicklungslinien, Konflikte oder Leitmotive erkennbar.

Die Philologie der Benn-Briefe ist keine einfache Sache. Ursula Ziebarths schlichtes Archiv-System erwies sich als Glücksfall. Sie hat alle Briefe in einem Karton aufbewahrt, chronologisch geordnet, die Umschläge, die für die Datierung entscheidend sein können, sind vollständig erhalten. Zuweilen hat Benn mehrere Blätter unterschiedlichen Formats in ein Kuvert gesteckt, ein Verfahren, das seine Briefpartnerinnen nachahmen sollten, wenn sie allzu Intimes mitteilen wollten. Denn gelegentlich hielt Benn es für angebracht, die Episteln seiner jungen Bewunderinnen seiner Frau Ilse zur Ansicht vorzulegen. Dann nahm er den Zettel mit Verfänglichem heraus und legte der Gemahlin nur den harmlosen Brief vor. Bei allen praktischen Vorzügen für das Eheleben birgt dieses Verfahren eine editorische Gefahr: Allzu leicht können die oft undatierten Zettel durcheinandergeraten. Dies mag die Ursache dafür sein, daß der Wortlaut in Rychners Ausgabe von der neuen Edition abweicht. Der Herausgeber Bernd Witte führt Abweichnungen jedenfalls darauf zurück, daß damals „Teile mehrerer nicht zusammengehöriger Briefe unzulässigerweise unter dem Datum eines einzigen Schreibens zusammengefaßt wurden.“ Differenzen sind dadurch zwar erklärbar, aber Auslassungen?

Wer den Brief Benns vom 25. Juli 1954 in beiden Ausgaben vergleicht, wird feststellen, daß in der neuen Edition ein ganzer Absatz fehlt, ohne daß dies kenntlich gemacht würde. Darin kommt Benn auf die Begegnung zurück, die er mit Astrid Claes in Kassel hatte. Das Treffen ist zentral für die vielleicht nicht ganz so zentrale Frage, ob der Dichter in seinen letzten Lebensjahren neben seiner Ehefrau Ilse ein oder zwei Geliebte hatte. Vermutlich war Astrid Claes' bemüht, die Freundschaft zu dem Mann, den sie als Dichter bewunderte, auf einer geistigen Ebene zu halten. Benns Interesse war dies nicht. Ohne jedes Feingefühl wiederholte er die in Kassel gestellte Frage, ob Astrid Claes lesbisch sei. Daß die Passage in der neuen Ausgabe fehlt, ist vor allem in einer Hinsicht von Belang, denn nun ist die Frage nach der Textgenauigkeit der Edition aufgeworfen.

Mag sein, daß Astrid Claes die Sätze strich, weil sie ihren Verfasser schützen und sich selbst nicht der erneuten Verletzung aussetzen wollte. Auch beinahe ein halbes Jahrhundert nachdem sie gefallen sind, können Benns Worte noch verletzen. Das gilt für beide Frauen, Astrid Claes wie Ursula Ziebarth. Die dritte Betroffene, Benns letzte Ehefrau Ilse, starb 1993. Die 1997 umstrittenen Passagen, in denen Benn die Geliebte Ursula Ziebarth der umworbenen Astrid Claes gegenüber als „intelligent, aber völlig amoralisch“ bezeichnet, sind ungekürzt abgedruckt. „Es gibt ihr gegenüber nur eins, was ich leider erst zu spät bemerkt habe: sie ausschalten und kaltstellen.“, heißt es im selben Brief vom 27. Juli 1955.

Ursula Ziebarth wird nicht gegen den Abdruck vorgehen, obwohl ihre Persönlichkeitsrechte verletzt wurden. Sie ist für eine ungekürzte Edition der Briefe, auch wenn ihr einige Passagen nicht angenehm sind. Auf Wunsch der Betroffenen hat sie jedoch in "Hernach" mehrere für Astrid Claes ungünstige Äußerungen Benns gestrichen und die Auslassungen kenntlich gemacht. Zwei Damen in ihren Siebzigern und Achtzigern, so sagt sie, sollten nicht streiten, nicht einmal, wenn es um Gottfried Benn geht.

Benn war ein begnadeter Briefeschreiber, ein Epistolograph, der auf Rezeptblöcken und fliegenden Zetteln Sätze verewigte, die zum Teil klingen wie über den Hinterhof gerufen: direkt, kraftvoll, zuweilen derb und sehr oft vom Charme der mündlichen Rede getragen. Benns Offenheit, sein freier, ungekünstelter Ton, ein Übermut, der an Albernheit grenzte und diese Grenze unbekümmert überschritt - all dies hat in "Hernach" überwältigt und findet sich in den Briefen an Astrid Claes weitaus seltener. Hier begegnet ein ernster, nicht begeistert liebender, sondern tastend werbender Benn, der ärztlichen Rat erteilt, im Gegenüber zu lesen versteht, vor der allzu intensiven Beschäftigung mit Else Lasker-Schüler warnt und nur einziges Mal in den Kindchen-Ton verfällt und von sich als "Onkel" spricht.

Was er im Jahr 1938 als frisch Vermählter dem Freund Oelze schreibt, daß seine Frau, Herta von Wedemeyer, ihm „eigentlich in keiner Lage“ mißfalle, auch wenn sie nicht wisse, „was eine Amphore ist, ja nicht einmal, ob Napoleon vor Friedrich dem Grossen lebte“, konnte Giselher, der Barbar, wie er in Gedichten der Lasker-Schüler heißt, über Ursula Ziebarth und Astrid Claes sicherlich nicht sagen. Beide haben ihm Widerstand geleistet, jede auf ihre Art. Man sollte die Korrespondenzen des späten Benn zusammen lesen, „Hernach“ und die „Briefe an Astrid Claes 1951 bis 1956“ als einander ergänzende Dokumente betrachten, darüber jedoch nicht vergessen, daß manches, was Benn beiden Damen, allen Frauen verschwieg, womöglich nur Freund Oelze erfuhr.

(Hubert Spiegel in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. April 2002, Seite 52)

Zu: Inseln der Erinnerung (2002):

„Mir ist, als löse der Himmel über dir sich auf in ein Meer von Malven, die auf den Türmen, auf den Bäumen liegen bleiben, was ein Stück Erde selbst zum Himmel macht."

Bäume als Vorbilder. Das Dasein der Straße als lebenswichtig. Kirchen als Oasen des Friedens.

Astrid Gehlhoff-Claes erzählt von den Inseln ihres Lebens, an denen sie noch heute gerne strandet. Denn ein solches Stückchen Festland im Meer der Einsamkeit spendet Trost, gibt Hoffnung. Hoffnungen, die "wie Vögel sind, die das Ankommen kennen: du lebst."

In kurzen Episoden beschreibt die Autorin Stationen der Vergangenheit. Sie erzählt von ihrer Traumstraße, die ihr Kraft gibt. Von Sankt Gereon, wo das Leben die alltägliche Dunkelheit verliert. Und von ihren Lesungen im Gefängnis, deren Inhaftierte versuchen, das Draußen zu bestehen.

Sie führt den Leser ein in ihre Welt. Mit beschwingten Worten. Verständlich, denn die "Poesie" bringt "die Momente" schließlich "zum Leben".

So beschreibt sie Empfindungen, erzählt von Orten und Menschen, die in ihrem Leben einen Sinn machen. Sie nennt die Begegnung mit Gottfried Benn. Der große Dichter. Und sie. In einem Schlosspark, damals, als er noch nichts von ihr weiß, als er herausfindet, dass sie einsam ist. Er gibt ihr Selbstvertrauen, stärkt ihren Mut zum Schreiben.

Die Einsamkeit. Sie schwindet bei Gelhoff-Claes überhaupt nur "auf dem Weg in die Natur". Und so spricht sie passagenlang über Bäume und wie sich deren einzelne Blätter im Takt des Windes bewegen oder wie sie in einem anderen Licht aussehen.

Ebenso hält es die Autorin es mit anderen Pflanzen, zuweilen auch mit Gebäuden. Sie langweilt mit daten-faktischen Einzelheiten einer Kirchturmglocke. Mit überflüssigen, weil wenig fesselnden, geschichtlichen Einzelheiten über ein Schloss.

Die Autorin verliert sich in zunächst interessanten und mitreißenden Beschreibungen. Doch spätestens nach der Erzählung über ihre tief emotionale Bindung zu Zypressen möchte man von Pinien nichts mehr hören.

Ihr Werk gibt zum Erforschen ihrer Psyche Anlass. "Inseln der Erinnerungen", oft als Autobiographie klassifiziert, erscheint an manchen Stellen mehr wie ein Reiseführer, wie ein Sachbuch über Flora und Fauna. Immer wieder bleibt die Autorin unkonkret. Nur ansatzweise erfährt man etwas über den Ursprung ihres Leids, ihrer Einsamkeit. Sie scheint unfähig, ihrem Ärger und der Wut Raum zu geben. Sie verlor Freunde, weil sie immer im Sinne ihres Vaters handelte. Doch: kein Wort davon, wie sich das anfühlt. Sie verliert ihre Tochter an die Schwiegermutter. Und wieder: keine greifbare Äußerung über den Schmerz.

Lediglich das Kapitel "Freundschaft in Paris" offenbart, dass "sie schreit". Doch zu leise, im Ganzen ist dieser Satz nur eine leichte fallende Feder, die man am Ende überhört. Sie bevorzugt mit ihrem Hund zu plaudern, oft weiß sie nicht mal Namen der Menschen, die um sie herum und mit ihr leben. Wohl aber die der Haustiere jedes Einzelnen. Vielleicht hat sie Angst vor Voyeurismus. Die Möglichkeit, der Leser könne als Beobachter ihrer Seele agieren, scheint sie zu behindern.

Und so bleibt es dabei, dass nicht nur Benn - wenn auch nur zu Anfang - nichts von ihr weiß. Auch der Leser ist weitestgehend von ihrem Leben ausgeschlossen.

Bemerkenswert sind ihre Worte, die in Erinnerung bleiben. Vielleicht ist das jedoch die einzige Insel, auf der der Leser strandet: "Ihr wisst nur von meinen leichten Tagen,/ doch die dunkeln habt ihr nicht gezählt."

So erklärt sie sich in ihrem Gedicht "Der Delphin" - und ahnt vielleicht nicht, wie Recht sie hat, liest man ihr Werk. Schöne Wort alleine genügen eben nicht immer

(Nadine Gottschling in: literaturkritik.de, Nr. 6, Juni 2003)

Fünf weitere Pressestimmen zu diesem Buch finden sich auf den Seiten des Grupello Verlags: www.grupello.de/verlag/autoren/autor/Astrid%20Gehlhoff-Claes/session//ident//

Zu: Der lyrische Sprachstil Gottfried Benns (1953/ 2003):

Wo kommen eigentlich Paradigmen her?

Anmerkungen zu Astrid Gehlhoff-Claes' Dissertation „Der lyrische Sprachstil Gottfried Benns“

Wieso erscheint eine Dissertation 50 Jahre nach ihrer Annahme? Diese Frage lässt sich in zweierlei Hinsicht beantworten. Zum einen, weil sie bis heute gültige Ergebnisse liefert, die die Forschung - so die der Publikation zu Grunde gelegte Erwartung - auch noch im Nachhinein nachhaltig befruchten kann. Zum anderen, weil sie wissenschaftsgeschichtliche Relevanz besitzt.

Der Verlag ging wohl von Ersterem aus, zumal es im Klappentext heißt, die Dissertation sei „eine kleine literaturwissenschaftliche Sensation“, die „dabei zu noch heute gültigen Ergebnissen gelangt“. Schon in der der Dissertation vorgeschobenen persönlichen Stellungnahme der Autorin, die in der Art eines imaginierten Briefes an den bereits fast 50 Jahre verstorbenen Dichter Gottfried Benn gerichtet ist, kommen dem unvoreingenommenen und bislang noch geneigten Leser angesichts solcher Euphemismen erste Zweifel. Zu sehr wird Benn als Person und Autor von der Autorin für ihr eigenes Leben vereinnahmt: „Schmerz wird [von Benn] als Privileg, als Mitgift der dichterischen Berufung aufgefaßt. Das war meine Brücke, mein Band; in meinem dunklen Leben damals meine Traumnahrung. Ich schrieb schon selbst Gedichte, und meine lyrischen Motive waren oft Ihren gleich: die Natur - Blumen, Bäume, Vögel -, Schreiben und Einsamkeit.“

Auch die Zielsetzung und das eigene Vorgehen muten wissenschaftlich so gar nicht gegenwärtig an, da die Dissertation den heutigen Standards einfach nicht genügt - etwa wenn davon die Rede ist, dass „das Gesetz der stilistischen Phänomene einer Dichtersprache dadurch zu finden [sei], daß wir die Verknüpfung von Ausdruck und Wesen des Dichters zu erkennen suchen“, weshalb Gehlhoff-Claes vorschlägt, „die Kenntnis der Dichterpsyche gerade als Mittel für eine exakte Deutung der einzelnen Stilmerkmale“ einzusetzen, indem die Prosa, „vor allem de[r] selbstbiographische Roman Doppellebe“" zur maßgeblichen Bezugsgröße erhoben wird - ohne die genauen Maßgaben für dieses doch recht problematische Vorgehen offen zu legen. Nicht nur der biografistisch-psychologistische Zugang zum Œuvre Benns, auch die naive Ineinssetzung von Werk und Dichterleben müsste sich vor der Folie der heutigen Praxis einige Kritik gefallen lassen.

Die textimmanent betriebene Stilforschung, abgelöst von detaillierten Einzelinterpretationen oder systematischen poetologischen Fragestellungen gibt sich, auch wo sie wertend sein will, überwiegend mit der Deskription der Sprachverwendung Benns zufrieden, da es ein Textäußeres nicht zu geben scheint, und nimmt sich - vor allem im Rahmen der Untersuchung Benn'scher Zentralworte - eher aus wie eine kommentierte Wortkonkordanz. Auch kommt die Autorin oftmals zu apodiktischen, für den Leser nicht ganz nachvollziehbaren Deutungen. So wird etwa der Fremd- und Fachwortgebrauch Benns als elitistische Absicht des Autors gedeutet, als ein Sich-Abschließen vor den Lektüren ungebildeter Leser. Der Effekt, den Benns Texte womöglich hatten und der intendierte und bewusste Wille, einen Elitismus zu pflegen, gehen jedoch von zwei verschiedenen Prämissen aus und lassen sich ohne plausible Beweisführung nicht ohne Weiteres gleichsetzen. Eine These also, die sich wahrscheinlich weder aus dem Text, noch durch autobiografisches Material wirklich beweisen ließe und von der Autorin auch nicht belegt wird.

Die Relevanz der Studie für die gegenwärtige Forschung muss vor diesem Hintergrund folglich leider bezweifelt werden. Als erste Dissertation zum lyrischen Werk Benns, die noch zu Lebzeiten des Autors fertiggestellt wurde, besitzt die Arbeit aber tatsächlich eine wissenschaftsgeschichtlich interessante Dimension. Die in der Tradition der stilgeschichtlichen Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg stehende Studie veranschaulicht die literaturwissenschaftliche Arbeitsweise eines textimmanenten Verstehens a la Spitzer, Staiger, Kayser oder Walzel und macht Forschungsinteresse sowie methodisches Vorgehen dieser Zeit anschaulich. Vor diesem Hintergrund ist sie sicherlich ein wichtiges Zeugnis für die Geschichte unseres Fachs. Mitunter ließen sich Traditionsspuren, gerade in der Benn-Forschung, auch für nachfolgende Arbeiten zumindest bis in die späten 80er Jahre nachweisen, die oftmals ein ähnliches methodisches Vorgehen an den Tag legten, dem Paradigma der textimmanenten Methode folgten und sich erst langsam für den Methodenwandel in der Literaturwissenschaft öffneten - ein Indiz dafür, wie lange die Erschließung des Benn'schen Œuvres auf die ihr eigene Tradition rekurrierte.

Warum also eine Veröffentlichung nach 50 Jahren? Der Blick auf die letzte Seite des Buches lässt ferner eine dritte, paratextuelle Antwort auf die eingangs gestellte Frage zu: Die Dissertation als Stilisierungs- und Werbefläche für die eigene 2002 erschienene Autobiografie? Der hier abgedruckte Werbetext - eine Besprechung von Florian Illies in der FAZ - für den hier "ein spätes Selbstportrait der Autorin als junger, aufmüpfiger Dichterin" vorliegt -, sowie der vom Verlag gesetzte Hinweis auf die eigene Homepage, von wo aus eine "Leseprobe" und eine "versandkostenfreie Bestellung" des Werks möglich ist, lässt den Leser eine solche Vermutung zumindest kurz in Erwägung ziehen

(Carolina Kapraun in: literaturkritik.de, Nr. 7, Juli 2006)

Drei weitere Pressestimmen zu diesem Buch finden sich auf den Seiten des Grupello Verlags:

www.grupello.de/verlag/autoren/autor/Astrid%20Gehlhoff-Claes/session//ident//

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