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Ruth Willigalla: „Wie wir wurden, was wir sind“ (8. November 2009)

Das ist der Titel, den der Journalist und Schriftsteller Bernt Engelmann seinem Buch gab, das er 1980 in der Büchergilde Gutenberg bzw. über den Bertelsmann-Verlag München heraus gab. Es beschreibt die Zeit von der „bedingungslosen Kapitulation bis zur unbedingten Wiederbewaffnung“ in der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Titel ist so zutreffend für „meine Zeit“, in die ich 1930 hinein geboren wurde, dass ich ihn im Rückblick immer wieder anwenden mag.

Wir schreiben November 2009. Das sind 60 Jahre nach dem 2. Weltkrieg (1939-1945) und 20 Jahre nach dem Mauerfall (1989). Auf fast allen Kanälen des Fernsehens wird zum 9. November 1989 zurückgeblendet, als die Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten buchstäblich niedergerissen wurde. Ich selbst habe diesen Tag am Fernseher erlebt; vorübergehend war ich nur halbtags tätig. Aber genau so zufällig habe ich die Erschießung von J.F. Kennedy in den 50er Jahren (im Krankenhaus) am Radio erlebt wie auch den 12. September 2001 am Fernseher, als die beiden Flugzeuge in die Zwillingstürme in Manhattan rasten und damit tausende Menschen in den Tod flogen. Terrorismus hat viele Gesichter - einschließlich der NS-Zeit. – Eigentlich empfinde ich im Nachhinein dieses Erleben als eine Bestätigung dessen, wie mein ganz persönliches und gesellschaftspolitisches Leben bisher verlief. – Der Rückblick bleibt nicht aus, wenn wieder ein sich rundendes Lebensjahrzehnt beginnt. Es waren die Beweggründe für mein, für unser Tun.

In meinen „Gerresheimer Geschichten“ sind viele Facetten meiner Kindheit festgehalten. An vieles erinnere ich mich, als sei es heute geschehen. Aber was danach passierte, als wir nach Kriegsende Demokratie lernen mussten und wollten – zumindest die, die guten Willens waren –, da passierte so unendlich viel, ich muss es schriftlich festhalten, mit meinen Gedanken und Empfindungen, ja auch im Tun. Und die Gedanken bringen Namen und die Namen bringen Zeiten nach dem 2. Weltkrieg. Zeiten, nein, die ich nicht vergessen kann und will. Und eine Erkenntnis vor über 20 Jahren, dass Frauen mich geprägt haben, so wie ich wurde, was ich bin.

60 Jahre Bundesrepublik lässt besonders die Sender im 3. Programm des Fernsehens rückblicken auf diese Zeit, denn schließlich werden die Zeitzeugen aus biologischen Gründen immer weniger. Obwohl unsere Generation wohl die langlebigste und sicher so zäh ist durch die Hungerjahre 1945-1948. In der WDR-Reihe „Als die Mode nach Düsseldorf kam“ wirkte ich für die Zeit der 50er Jahre mit. (Auf einer CD ist auch festgehalten, wie ich in einer WDR-Sendung mein Erleben 40 Jahre nach Kriegsende schilderte).

Eigentlich hatte ich nach dem Krieg und der Währungsreform im Juni 1948 in Bezug auf „Modestadt Düsseldorf“ in diesen Jahren weniger im Sinn. „Unsere Gedanken waren damals anders geprägt“, so schilderte ich diese Zeit. Und doch kommt das Gedenken an diese Zeit und mit Namen hoch und will festgehalten werden aus meiner Sicht. Es passierte einfach zu viel.

Von Kriegsende 8. Mai 1945 an bis zur Währungsreform (6/1948) war unsere Hungerzeit. Wir lebten weiter wie im Krieg „auf Lebensmittelmarken“, doch Lebens-Mittel gab es kaum, der Schwarzmarkt blühte und die Frauen, deren Männer zumeist noch in Gefangenschaft waren, verkauften gegen Brot, Fett und Kartoffeln alles, was ihnen jemals als Aussteuer mitgegeben wurde. Ich war ab Herbst 1945 in der Lehre im Geschenkegroßhandel Kurt Schüring OHG. Statt „Büro zu lernen“ wie meine Mutter es unbedingt wollte, war ich mit der Chefin mehr auf Hamstertour als an der Schreibmaschine. Aber ich lernte per Fahrrad und oftmals beladen mit bis zu einem Zentner Äpfeln oder darunter versteckten Kartoffeln nicht nur das gesamte linksrheinische Gebiet zwischen Neuss und Mönchengladbach, auch den Westerwald zwischen Westerburg und dem Rhein kennen. – Und ich lernte zwischen der Notwendigkeit des Überlebens und der nicht ordnungsgemäßen Ausbildung zu unterscheiden, weil die Verhältnisse damals so waren. Ein Jahr nach der Lehrzeit habe ich mich zum Erstaunen meines Lehrherrn vom Großhandel getrennt. Ich lernte den Zeitungsbetrieb in der Redaktion einer Tageszeitung kennen, die KP-Zeitung „Freies Volk“. Ob beim Chefredakteur oder in der Sportredaktion, im Wirtschaftsteil oder der Innen- und außenpolitischen Seite – die Redaktionsarbeit war neu, aber aufregend und ungeheuer spannend. Schließlich vertraute man mir den ADN-Fernschreiber an mit ankommenden Nachrichten, die ich den jeweiligen Redaktionen vorlegte. Dass ich nach zwei Jahren kündigte wegen eingeführter Nachtschicht auch für die Redaktionen, steht auf einem anderen Blatt. Was ich aber damals gelernt habe, konnte ich später vielfach umsetzen.

In der damaligen Zeit war es in der BRD schwierig, für die Bundesrepublik Deutschland diese Abkürzung zu benutzen wegen der Ostzone, die dieses Kürzel für den Westen einsetzte. Der „Kalte Krieg“ hatte auch die Bundesrepublik erwischt: Die Aera des republikanischen Senators McCarthy in Amerika Ende der 40er-/Anfang der 50er Jahre. In „Hexenjagd“ von Arthur Miller wird das beschrieben. Charlie Chaplin und seine Familie, Bert Brecht und Thomas Mann als ehemalige Emigranten konnten ein Lied davon singen; sie mussten vor den Exzessen dieser Tage Amerika verlassen. In der BRD war es die Abhöraffäre mit F.J. Strauss: Ein wenig demokratisches Gefühl also. Und so wollte manch einer aus dem sogenannten bürgerlichen Lager nicht verstehen, warum ich an einer Zeitung arbeite, die politisch kommunistisch ist. Ich habe mich trotz allem nicht an diesen Animositäten beteiligt, weil ich erstens froh war, 1951 eine andere Arbeitsstelle zu bekommen, weil ich gerne arbeiten wollte und vor allen Dingen mehr lernen wollte, als mir bisher möglich war. Zudem: Ich war in dem toleranten Gerresheim aufgewachsen, in dem Sozialdemokraten wie Kommunisten einträchtig lebten, ihren eigenen politischen Neigungen nachgingen wie auch der gemeinsamen Arbeit z. B. auf der Gerresheimer Glashütte. Ich kannte die Familien meiner Schulfreundinnen und Schulfreunde, die alle irgendwie „politisch“ waren, ob im Sportverein, Gesangverein oder im Taubenverein. Ich habe gearbeitet und für meine Arbeit mein Gehalt bekommen. Ich war also niemandem etwas schuldig - auch keiner anderen Meinung. Deshalb auch bin ich stolz an jedem 1. Mai nach dem 2. Weltkrieg durch Gerresheim mitgezogen, nun aber sehr viel bewusster und freiwillig, was ich als Jungmädel im BDM ja tun musste. Was ich also früher beim „Freien Volk“ in der Redaktionsarbeit kennen lernte, konnte ich später umsetzen bei der Gestaltung der Ausländer-Zeitung, welche die Stadt Düsseldorf herausgab für Gastarbeiter in unserer Stadt. Ich war Mitte der 70er Jahre verantwortlich für die Zeitung „Guten Tag“ (eig. Leitartikel etc.), die in fünf Sprachen durch die ausl. Sozialarbeiter beim DGB oder beim Arbeitsamt Düsseldorf übersetzt wurde. – Als ich dann ab 1950-1959 erst bei der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden in der Arbeitsrechtsabteilung als Sekretärin arbeitete, dann noch weitere fünf Jahre in der Rechtsabteilung beim Deutschen Gewerkschaftsbund (Kreisverband Düsseldorf),das hat sozusagen den richtigen Nerv bei mir getroffen. Es ging um das Recht für den arbeitenden Menschen: hier war ich richtig. Ich glaube, ich war am Arbeits- oder Sozialgericht in der Vertretung für die Arbeitnehmer gar nicht so schlecht. Und: In der Argumentation für Rechtsuchende bin ich immer noch so gut, dass ich manch einer Frau auch heute noch helfen kann.

In dieser Zeit war die 1951 geschlossene Ehe 1956 geschieden worden. Ich zog mit meinem 4-jährigen Sohn wieder zu den Eltern, redlich bemüht, eine Wohnung zu finden. Das war in diesen Jahren ein schier unmögliches Beginnen, denn eine geschiedene (!) Frau und dann noch ein Kind in der Wohnung – shocking! Von dem auch mit meinem Geld erbauten Eigenheim hatte ich schließlich nichts und bekam als Unterhalt 25 Mark pro Monat für meinen Sohn. Eine Scheidung war für Frauen damals ein Makel. Und damit konnte meine Mutter (!) sehr schlecht leben. Und: Wohnungen in Düsseldorf bekamen auch ausgebombte Einheimische erst dann, wenn das Flüchtlingskontingent für unseren Raum mit Wohnungen befriedigt worden war. Erst nach mehr als sieben Jahren und nach der zweiten Heirat (1961) bekam ich 1962 endlich mit Mann und Sohn eine 39 qm große Zweiraumwohnung, die für uns schon das Glück bedeutete. Doch nervlich war ich ziemlich am Ende.

Das muss ich aber am Rande doch schildern. Fast wöchentlich war ich auf dem Düsseldorfer Wohnungsamt schier verzweifelt vorstellig geworden, um auf diesen Notstand Wohnung dringlich einzuwirken. In meiner Verzweiflung sagte ich dem Beamten: „Verstehen Sie doch, ich möchte noch ein Kind haben, deshalb der Wunsch nach einer größeren Wohnung.“ Lachend versprachen mir dann drei Mitarbeiter des Wohnungsamtes, beim Kinderwunsch behilflich sein zu wollen. Es waren schließlich diese drei Düsseldorfer im Amte, die mir gerne die Nachricht gaben, auf dem Tauschwege „kleine gegen größere Wohnung …“ ein Angebot machen zu können, das ich ebenso lachend annahm.

Aber: Der „Haushaltungsvorstand“ sollte den Vertrag unterschreiben, mein Mann also. Ich bestand zwar darauf, dass ich als Hausfrau dem Haushalt vorstehe. Aber das Gesetz ! verlangte damals noch die Unterschrift des Ehemannes. Das änderte sich erst 1976 mit dem „1. Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts“, so dass auch die Frau unterschriftberechtigt war und z.B. über ihre eigene Berufstätigkeit selbst bestimmen konnte.

Erst nach dem Umzug und nach einer Kur stabilisierte sich damals mein angeschlagener Gesundheitszustand so, dass ich nach drei Jahren Ausfall zumindest halbe Tage wieder meine Arbeit im DGB aufnehmen konnte. Dies aber nicht mehr als Rechtssekretärin, sondern im Sekretariat für Frauenarbeit unter Else Warnke. Ich fühlte mich tatsächlich damals diskriminiert. Doch es wurde die beste Zeit meines beruflichen Lebens. Sie brachte mir einen Lernprozess ohnegleichen.

Ich habe während dieser Zeit – ab 1951 der Arbeiterwohlfahrt und ab 1961 der SPD angehörend – ehrenamtlich mitgearbeitet. Es gab ja so viel zu tun und ich war nicht der Mensch, der abgewartet hat, bis „der Staat“ was tut. Wir wohnten im Neubaugebiet Düsseldorf-Garath (Nähe Schloss Benrath), kannten einander überhaupt nicht und es mangelte an der gesamten Infrastruktur. Für einen Theaterbesuch fuhren wir mit Stiefeln an den Füßen in die Innenstadt, zogen erst am Düsseldorfer Hauptbahnhof diese aus und die Pumps an. Wegen der Preise organisierte ich mit zwei anderen Bürgerinnen Fahrradeinkäufe, weil das einzige Geschäft Überpreise nahm. Noch ohne S-Bahnverbindung organisierte ich Busfahrten ins Theater und Konzerte, auch für behinderte Menschen, damit wir uns zu Düsseldorf weiterhin zugehörig fühlen konnten.

Ich wurde 2. Vorsitzende im Kreisverband der AWO (mehr als 25 Jahre), dazu 12 Jahre 2. Vorsitzende im Bezirk Niederrhein der AWO und zunächst Bürgerschaftsmitglied in der Bezirksvertretung D-Benrath, später Friedrichstadt/ Unterbilk, von 1976-1984 Mitglied des Rates der Stadt Düsseldorf (Sozialausschuss/ Wohnungsausschuss/ Bauausschuss). Hier wurde ich Vorsitzende im Arbeitskreis ausländischer Arbeitnehmer und habe – aus der Arbeit der Wohlfahrtsverbände heraus – die Zeitung „Guten Tag“ für ausländische Arbeitnehmer redaktionell verantwortlich erarbeitet (ehrenamtlich und nachts geschrieben).

„Sie suchten Arbeitskräfte und es kamen Menschen“ lautete der Ausspruch des Schriftstellers Carl Zuckmayer, als in der Zeit ab 1963/1965 nicht nur Spanier und Italiener, sondern auch Jugoslawen, Griechen, Türken und Marokkaner ins Rheinland kamen, um die fehlenden Arbeitskräfte in den aufsteigenden Industrien des Rheinlandes und besonders hier im Düsseldorfer Stahlbereich zu ersetzen.

Das brachte mir auch andere Kulturen näher, wobei ich z. B. Jugoslawen schon aus der Kriegszeit (1940-1945) her kannte. Die waren damals von dort aus verschleppt worden, um hier als Fremdarbeiter unter wenig menschlichen Verhältnissen z. B. bei der Fa. Heye die durch den Krieg fehlenden Arbeitskräfte zu ersetzen. Als Mädchen hatte ich die in ihrer freien Zeit mit anderen Freundinnen belauscht und bis auf die Sprache nicht als „fremd“ angesehen. Und ein Jura und Duran kamen zu Verwandten heimlich in die Familie als Menschen und nicht als Gefangene.

Mit all den Erlebnissen und Eindrücken im Hintergrund habe ich in der Zeit (1963-1966) im Frauensekretariat des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Kreisverband Düsseldorf, erstaunliche Erfahrungen gemacht, die sich eigentlich – als ich später darüber nachdachte – an meine Kindheits-, Jugend- und bisherigen Berufserfahrungen und an die in den Ehrenämtern so anschlossen, dass sie sich nach und nach tatsächlich ergänzten, besonders im menschlichen Miteinander.

Konnte ich vorher mit dem Begriff „Frauensekretariat“ wenig anfangen, lernte ich durch die unnachahmliche Else Warnke, eine energische, nicht sehr große Dame in Zentimetern, aber im Denken, was Frauenarbeit – Arbeit an und mit Frauen – beinhaltet und bedeutet.

In den 50er/60er Jahren wurde die unpolitische Haltung der meisten Frauen von den christlich-konservativen Regierungen unterstützt. Die alte Rollenverteilung sollte Leitbild der Gesellschaft bleiben. „Rabenmütter“ und „Schlüsselkinder“ waren so die Slogans, mit denen berufstätige Frauen an Heim und Herd gebracht werden sollten. Ich erinnere mich an den Slogan von Bundesfamilienminister Franz Würmeling (CDU), der die alten und neuen Aufgaben der Frauen so beschrieb: „Frauen sollen Kinder kriegen und in der Mutterschaft ihre wahre Erfüllung finden“. Die „Frauen zurück-an-den Herd-Politik“ wurde von der Adenauer-Regierung verknüpft mit der Zuweisung einer vaterländischen Aufgabe der Frauen im Kalten Krieg. Auch die Adenauer-Vorstellungen zum Frauenbild spiegelten sich später im Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau „auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechtes wider, das der deutsche Bundestag nach heftigen Debatten im Sommer 1957 verabschiedete (1958 in Kraft getreten). Die im Grundgesetz auf Gleichberechtigung von Mann und Frau verankerte Garantie sollte auf das bürgerliche Recht übertragen werden. Wie wenig ernst es den damaligen Gesetzgebern war mit der Reform der Geschlechterrollenverteilung in der Gesellschaft, macht folgender Text deutlich: „Es gehört zu den Funktionen des Mannes, dass er grundsätzlich der Erhalter und der Ernährer der Familie ist, während es die Frau als ihre vornehmste Aufgabe ansehen muss, das Herz der Familie zu sein.“

Ich hatte Else Warnkes vorherige Mitarbeiterin kennen gelernt, die aus Altersgründen ausschied und sich nicht sehr gut über ihre Chefin äußerte. Ich sprach Frau Warnke darauf an und sagte ihr, dass ich sehr gerne arbeite, selbst aber keine „Launen“ kenne und solche im Arbeitsverhältnis auch nicht durch jedweden Chef akzeptieren würde. Und dann lernte ich eine Frau kennen wie keine andere, wie keinen anderen Chef zuvor. Und ich lernte von dieser Frau wie von keinem anderen Chef vorher, was echte Zusammenarbeit ist, in Respekt voreinander, so dass ich noch heute in tiefster Dankbarkeit gerne dieses „Lehrgeld an Frauenarbeit“ bezahlt habe.

Nach einem langen Diktat war Else W. unterwegs und befand später einen von mir übertragenen Passus als nicht richtig. Als ich ihr mein Stenogramm nochmals übersetzte, sagte sie etwas, was kein männlicher Chef jemals sagen würde: „Wenn Sie das so verstanden haben, habe ich mich falsch ausgedrückt.“ Und sie diktierte die Passage neu. Sie hat an ihren Sätzen in den vorzubereitenden Reden gefeilt, dass ich dies so verinnerlicht habe und es auch nicht anders kann: Möglichst präzise und gut verständlich den Ausdruck dessen zu finden, was frau sagen möchte.

Und sie kämpfte auf ihre Art und Weise um die Frauen und für die Frauen, ging in die Diaspora an den linken Niederrhein oder bis nach Lippe, den östlichen Zipfel NRWs oder an die Grenze bis ins Hannoversche, um die Frauen zu erreichen mit Wort und Schrift und Aufrütteln, suchte und fand gleichgesinnte Frauen und damit starke Verbündete, so dass die Frauen mehr lernten in ihrem Kampf um Arbeitsplätze und mehr Lohn.

Eigentlich war sie es, bei der mir schließlich buchstäblich ein Licht aufging: Es waren die Frauen, die mich so werden ließen wie ich geworden bin:

- Meine Mutter war in der NS-Zeit mutig durch ihren Widerstand im Kleinen wie im Großen.

- Meine erste Lehrerin Fräulein Fölster in Gerresheim, die jedes Kind ermutigte, nach besten Kräften etwas zu gestalten und selbst bei in unseren Augen missglückten Versuchen noch ein Lob aussprach für die geleistete Arbeit.

- Meine Chefin auf der Lehrstelle: Lebensart, wie ich sie in einem Arbeiterhaushalt weniger kennen lernen konnte, im Umgang im Büro oder mit Geschäftsfreunden.

- Lotte Wicke als SPD-Abgeordnete im Landtag NRW kurz nach dem Krieg als Vorbild für ihren Einsatz, ihren Umgang mit der freien Rede.

- Else Warnke als DGB-Frauensekretärin mit ihrem respektvollen Umgang in Sachen „Frauen und Frauen in unserer Geschichte…“

Tatsächlich hatte bis Ende 1950 in Nordrhein-Westfalen bereits jede 20. Frau ihren Arbeitsplatz verloren, in manchen Ruhrgebietsstädten wuchs die Frauenarbeitslosigkeit sogar doppelt so schnell. (vgl. „Zeitgenossinnen“ – 1946-96/ Frauengeschichte in NRW). Waren vorher die Frauen als Trümmerfrauen unter unsäglichen Bedingungen im Einsatz, galten die „hohen körperlichen Anforderungen“ nun als „Gefahr der Psychischen Verrohung“, denn Arbeiten, die mit Schmutz und Lärm verbunden waren, wurden als „negativer Einfluss auf die Haushaltführung oder gar Moral der Frauen angesehen“ (ebd. S. 17). Frauen sollten sogar als „Doppelverdiener“ entlassen werden. Man beachte die falsche Begrifflichkeit: Sie haben nicht doppelt verdient, sondern nur dazu verdient! Und: Ich sehe heute noch die Velberter Frauen vor mir so, wie uns früher Russinnen geschildert wurden: Hier waren schwer arbeitende Frauen am Werk, mit Kopftüchern und verrußt im Gesicht. Hier hat Else Warnke angesetzt!

Sah ich die Arbeit im Frauenbüro zu Beginn nicht als die meine an, ärgerte ich mich doch über die Ignoranz der Männer nicht nur aus dem konservativen Lager. Ich erkannte die Ungerechtigkeit, auf die Else Warnke ihren Verstand wie den Finger auf die Wunde legte. Ich schwenkte total um, war nun direkt mit ihr in einem Boot, unterstützte sie, wo ich konnte und versuchte sie zu entlasten, wo ich nur konnte. „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ versprach zwar die Verfassung in NRW, nicht aber das Grundgesetz. Und so unterliefen die Arbeitgeber das Verfassungsgebot. Es wurden Lohnabschlagsklauseln erfunden für Frauenlohngruppen, später war es die Praxis der Leichtlohngruppen nur für Frauen und, und, und… Gegen letztere machten sich die Gewerkschaftsfrauen stark und es gab so nach und nach viele Klagen der Frauen vor dem Arbeitsgericht, später ging es um geschlechtsneutrale Stellenausschreibungen etc., etc.

Es war ein stetiger Kampf der Frauen um gerechte Entlohnung, der eigentlich auch heute noch nicht ausgestanden ist. Und ich erinnere mich an Eleonore Güllenstern als Oberbürgermeisterin aus Mülheim a. d. Ruhr, die mehrmals im Büro mit Else Warnke sprach. Dass ich als Garatherin (seit 1965) auch die Monheimer Bürgermeisterin Ingeborg Friebe als „Nachbarin“ kannte, war wohl klar.

Ich sehe Else Warnke heute noch vor mir: Morgens mit weit offenen Augen in Kampfesstimmung für den Tag, abends für eine Stunde zurückgezogen hinter einer Zeitung, um abschalten zu können (da habe ich ihr jede (!) Störung vom Leib gehalten). Und wen habe ich alles kennen gelernt, wenn sie ihre verbindenden Gespräche und Zusammenkünfte abhielt, um eine Aktion, den Inhalt eines Schreibens an ein Ministerium in möglichst größtem Einverständnis der Agierenden (immer gemeinsam!) vorzubereiten. Käthe Strobel war Familien- und Gesundheitsministerin. Bei Forderungen des Frauensekretariats an das Ministerium oder gar bei Vorschlägen zu Gesetzesänderungen war die Vorlage für die Ministerin so präzise und ausgewogen, dass Frau Strobel „nicht auf die Ministeriellen“ angewiesen war, sondern eine eigene Top-Vorlage hatte mit allen Belangen aus dem Lande NRW und seinen Regionen.

Ich lernte noch die bodenständige Bielefelder Sozialpolitikerin und Bundestagsabgeordnete Elfriede Eilers kennen, welche die erste Bundesvorsitzende der neu gegründeten Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) war. Unsere ersten Zusammenkünfte zum § 218 bei Else Warnke fanden in der Reform des § 218 mit der Fristenlösung eine vorläufige Regelung für die Frauen. Ich selbst habe aber aus Anlass der sich wiederholenden Katholikentage immer wieder festgestellt, dass die kath. Kirche dagegen arbeitet.

Else Warnke machte sich die Erfahrungen von Martha Schanzenbach zu Nutze, die bereits mit Marie Juchacz dem Reichstag der 20er Jahre als eine der wenigen weiblichen Abgeordneten angehörte. Sie wollte, dass die abgeordneten Frauen in den Parlamenten möglichst unabhängig und wohl vorbereitet ihre Arbeit tun können. So hat sie in den Zusammenkünften genau diese vorbereitenden Gespräche geführt, die sie dann in Schriftsätzen den Parlamentarierinnen zukommen ließ.

Den Männern im DGB war diese Frau sicherlich unheimlich. Nicht immer haben sie – hinter vorgehaltener Hand – respektvoll von ihr gesprochen, auch, wenn Else Warnke z.B. die alten Damen aus den früheren Parlamenten oder die jüngeren Parlamentarierinnen solidarisch mit einbezog. Sie haben es weder verstanden noch begriffen. Sie sahen nie die Sache, nur ihre persönlichen Animositäten gegen selbstbewusste Frauen.

Wer erinnert sich nicht an den Siegeszug der Anti-Babypille Ende der 60er Jahre, was „Unwissende“ mit „freie Liebe“ gleichsetzten. Dass ich sie nicht vertragen habe, steht auf einem anderen Blatt, doch habe ich auch nicht vergessen, dass nicht nur durch Hiroshima Missbildungen bei Kindern viel menschlichen Kummer auslösten. –

Else Warnke hatte noch darum gekämpft, in den Landtag von NRW einzuziehen, was sie 1968 auch schaffte. Als ich von ihrem Tod im Jahre 1975 erfuhr, war ich sehr traurig, konnte doch noch kurzfristig an ihrer Beerdigung teilnehmen. Dass ich heute mit unserer Sprache besonders sorgfältig umgehe, habe ich auch ihrem Vorbild zu verdanken. Ich habe unendlich viel von ihr gelernt.

§ 218-Gruppen entstanden etwa im Frühjahr 1971, wo die DGB- und SPD-Frauen gemeinsam für die ersatzlose Streichung des § 218 warben. Hier schlossen sich sogar kritische Christinnen an wie Barbara Sölle. (1971 bundesweites Treffen „Aktion 218“)

Ich erinnere mich an Barbara von Sell, die als erste Frauenbeauftragte des Landes NRW unter Ministerpräsident Heinz Kühn fungierte. Eine wunderbare Vertreterin für die Frauen, deren Mann m. W. im WDR tätig war. Ich erlebte Barbara von Sell auf einer DGB-Frauentagung in Schwerte, wo ich wiederum Bekanntschaft machte mit den Kölner autonomen Frauen und einer Mitarbeiterin der Arbeiterwohlfahrt Bundesverband Bonn, die mir in eigener Angelegenheit einen guten Rat gab. Und heute noch denke ich an einen Freund: Dr. Dr. Josef Neuberger mit seiner Marianne, die in den Wahlkämpfen oftmals in aller Frühe bei mir zu Hause waren zum Frühstück nach den „Besuchen“ vor den Toren der südlichen Fabriken…

Es war eine so wunderbar befruchtende Zeit, in der sich die Frauen auf eine nie gekannte Art und Weise in voller Solidarität näher kamen, Türen aufstießen zu Hilfestellungen jeglicher Art. Über Else Warnke lernte ich in ihrem Büro noch Marlies Kutsch aus dem Bundestag in Bonn kennen, die die „heimliche Bonner Frauenbeauftragte“ war, bis später in den Städten nach und nach die Gleichstellungsstellen für Frauen gegründet wurden. Marlies Kutsch hatte die Gabe einer leisen behutsamen Sprache, aber in voller Deutlichkeit und akzentuiert zu sprechen. Ihr habe ich mit den Frauen des neu gegründeten Heimatvereins „Düsseldorfer Weiter“ im Bundeshaus einen Besuch abgestattet, wo sie den Frauen diese beruflichen Diskrepanzen erklärte: Männern räumte man immer noch die besseren Chancen ein.

Und ich denke an Gisela Marx, die tolle Journalistin des WDR, die mit vielen anderen Frauen im „Stern“ ihr Bekenntnis offen ablegten: „Ich habe abgetrieben“. Was für eine Zeit der Frauen! Welch ein Aufbruch. Ich weiß nicht, wie ich das alles geschafft habe: Den Haushalt, bei dem mir allerdings mein Mann sehr half, die Berufstätigkeit, für den Sohn da sein, die ehrenamtliche Zeit bei der AWO, der ehrenamtliche Einsatz als Vorsitzende für den „Arbeitskreis ausländische Arbeitnehmer“, zehn Jahre die Aufbereitung der Artikel für „Guten Tag“, AK ausländische Arbeitnehmer im Bundesvorstand der AWO Bonn oder Familienpolitischer AK im SPD-Hauptvorstand Bonn mit Annemarie Renger, Lieselotte Funke u.a.

Den Heimatverein „Düsseldorfer Weiter“ hatte ich gegründet, weil die Männer mich in den männlich besetzten Düsseldorfer Heimatvereinen nicht haben wollten – als Frau, das gibt die Satzung nicht her. Nach zwei Jahren Überlegungszeit von 1976 – 1978 habe ich die Initiative mit einer Anzeige ergriffen, die mir die Düsseldorfer Tageszeitungen ausnahmslos kostenlos einräumten. Und es hat auf Anhieb 1978 geklappt: 22 Frauen, dann 37 Frauen und danach 57 Frauen beim dritten Treff waren bereit, mit mir den Verein für Frauen in Düsseldorf als eingetragenen Heimatverein zu tragen.

Zur gleichen Zeit waren in Düsseldorf andere Frauen auch aktiv. „Mütter für den Frieden“ mit Barbara Gladysch, das „Frauen-Bücherzimmer“ mit reiner Frauenliteratur aus aller Welt, der Frauen-Kalender „Kom’ma“ mit Tipps und Terminen für Frauen (u. a. Marit von Ahlefeld), das erste Frauen-Archiv in der Universität Düsseldorf, das Ariane Neuhaus-Koch 1985 einrichtete. Pro familia war Anlaufstelle für die Frauen wie das ZAKK für die Kultur und Aufklärung.

Wie hatte ich mich über Rita Süssmuth geärgert, die wegen des niedersächsischen Ministers Albrecht ihre Kandidatur zurücknahm und erst dann antreten wollte, wenn die nächste Legislaturperiode beginnt. Gott sei dank ging sie dann nach Bonn und wurde auch in meinem Sinn eine gute Frau für die Frauen. Sie sprach zum § 218 vor mindestens 200.000 Frauen in Bonn, dass wir ihr in ihren Argumenten gerne folgen konnten. Übrigens: Sie hat wie Annemarie Renger den Bundestag mit Bravour geleitet.

Beim Nennen von Annemarie Renger muss ich an eine Begebenheit denken, die mich sehr berührt hat. Ich kannte Annemarie Renger aus ihrer Neusser Zeit und einem Wahlkampf, wo sie um Mithelfer verlegen war. Ich weiß nicht mehr, wieso ich ihr dabei mithelfen konnte, wer das vermittelte etc. Jedenfalls: Annemarie wurde bekanntlich die erste weibliche Präsidentin des Bundestages, leitete also die Sitzungen des Bundestages (souverän!). Auf einer Tagung des Landesverbandes der SPD in Leverkusen in der damals neuen Stadthalle wichen alle Parteifreunde und Freundinnen zurück, als Annemarie die Treppe hoch kam. Ich fand das genau so schrecklich wie sie, dass ich sie später im Waschraum darauf hin ansprach. Ich habe daraus gelernt: Wir dürfen uns nicht gegenseitig „im Stich“ lassen, dass macht uns einsam.

Und dann gab es 1991 die erste „Messe für Frauen“ in Düsseldorf. Statt Angebote aus Wirtschaft und Fabrikation wurde erstmals Frauenarbeit in dem Sinne vorgestellt, wie wir uns das vorstellten, und wie wir uns selbst darstellten. Erfinderinnen, Konstrukteurinnen, Planerinnen und Aktive aller Berufsgruppen, aller künstlerischen Bereiche etc. konnten sich auf einen selbst inszenierten Stand beweisen.

Es war Herr Thielmann von der Messe Düsseldorf (toll kooperativ!), der den Frauen behilflich war und auch mir, damit wir für den Heimatverein „Düsseldorfer Weiter“ in diesem berufsbezogenen Rahmen auch uns vorstellen konnten, sozusagen der Ausgleich in der Freizeit für berufstätige Frauen. Hier auf der Messe haben wir dann erneut erfahren, dass zwar 1956 das Bundesgesetz über „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ für Frauen und Männer in Kraft trat, aber immer noch nicht überall erfüllt wird. 1958 dann das „Bundesgesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau“ (Gleichberechtigungsgesetz).

Es bleibt nicht aus, dass ich in den Zeiten „gesprungen“ bin. Aber das ist so mit den Erinnerungen, wenn sie uns einholen, Begebenheiten und Namen nur so auf den „Geist“ einpurzeln, dass die Finger nicht mitkommen, alles aufzuzeichnen. Und dann werden auch die Gesichter zu den Namen wieder deutlich.

Das war so, dass ich von Ereignissen berührt, erschüttert oder auch wütend war, und eingedenk der Sache mit Annemarie Renger habe ich manches mal später bei entsprechenden Anlässen im Sekretariat von Ministerpräsident Johannes Rau angerufen oder auch ihm geschrieben, wenn ich etwas nicht rechtens fand. Er hat sich immer „gerührt“.

Natürlich habe ich zu den Wahlen auch in einem der Wahlbüros gesessen, wenn von 8 Uhr morgens bis 18 Uhr abends die Bürger ihre Stimme abgeben konnten. Als das erste Mal überraschend Willy Brandt gewählt wurde, hatten wir das bei der Auszählung noch gar nicht so begriffen, dass wir nicht das einzige Wahllokal mit der hohen Stimmenzahl waren. „Er ist durch! Er ist durch!“ So fielen mir wildfremde Menschen auf dem Nachhauseweg um den Hals! „Demokratie wagen!“ Das war es, was uns im wahrsten Sinne des Wortes bewegte.

Genau so fiel mir eine Nachbarin weinend um den Hals, als der Misstrauensantrag gegen Willy Brandt gescheitert war, „sonst hätte ich mich umgebracht!“, schluchzte sie. Vorher war ich in Düsseldorf und erlebte tatsächlich, dass bei der Übertragung dieser Stimmenauszählung im Fernsehen (!) im Hause von Peek & Cloppenburg die Kassiererinnen, Verkäuferinnen und Kundinnen dieser Auszählung fassungslos lauschten und sich dann bei dem Ergebnis in die Arme fielen, erleichtert schluchzten nach der Anspannung! Das hat dieser Junker Mende aber nicht geschafft! – Ich glaube, damals war das Vertrauen in Willy Brandt besonders durch die Frauen sehr groß, Demokratie zu wagen. Was für eine Zeit, war für eine Bewegung von Herzen und Geist!

„Frauen helfen – Frauen bauen auf“ war das Motto einer DGB-Bundesfrauenkonferenz (ich glaube 1955), fast 20 Jahre später gab es dann in NRW die ersten Zusammenschlüsse „Frauen helfen Frauen, die ersten Frauenhäuser wurden eingerichtet und gegen die private und gesellschaftliche Unterdrückung wurden Veranstaltungen initiiert, „Druck“ öffentlich gemacht.

Die Jugendlichen vom Düsseldorfer Jugendring haben eindringlich eine Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus gefordert, weil zwischenzeitlich die Folterkeller der Nazis bekannt waren. Gegen viele Widerstände und überwiegend mit den Frauen wurde hier die „Mahn- und Gedenkstätte“ unter der Leitung von Frau Angela Genger aufgebaut. In meiner Eigenschaft als Mitglied des Sozialausschusses nahm ich daran teil und es hat bewegende Ereignisse gegeben, wenn die Erlebnisse der Verfolgten der NS-Zeit berichtet, aufgeschrieben, verlesen wurden…

Etwas aber liegt mir heute noch quer, wenn ich daran denke: Pastor Klinkhammer hatte ich während der Zeit in Düsseldorf-Heerdt persönlich kennen gelernt. (Stichwort Sohn Bernd/ Kommunion/Ministrant etc.). Hier nun in der Mahn- und Gedenkstätte wird Herr Klinkhammer als Widerstandskämpfer eingestuft. Ich kenne ihn aber nur als Gegner von Kommunisten und als ‚Widerstandskämpfer’ gegen Düsseldorfer Kommunisten in der NS-Zeit. Das ist für mich etwas wesentlich anderes dann, als wenn es zu Verfolgungen gekommen ist. Meines Erachtens hat er dann den Nazis in die Hände gespielt. Ein weiteres Beispiel dazu: Wahlkampfzeit in NRW/Düsseldorf, vor der Heerdter Bunkerkirche auch ein Stand der SPD mit Wahlmaterial. Von der Kanzel herab Herr Klinkhammer: „Diese sozialistischen Elemente da draußen… !!!!“ Keine Frage: Ich riss fast meinen Mann und meinen Sohn aus der Reihe inmitten des Gottesdienstes, sagte laut: „Unverschämt! Ich bin auch ein solches sozialistisches Element!“ Und so sind wir gemeinsam aus der Kirche raus und haben sie niemals wieder betreten.

Dass ich Mitglied in der kath. Kirche (bis ca. 1985) blieb, hatte nur einen Grund: Ich wollte als Mitglied der „Kirche von unten“ zum § 218 direkt mit diskutieren können.

Und ich habe nochmals wie zu Beginn das Buch von Bernt Engelmann in der Hand und finde wie in vielen meiner Bücher Notiz-Zettel oder Zeitungsausschnitte über das, was mich bewegte oder wert war, festgehalten zu werden, weil wir ja so schnell vergessen. Ich erinnere mich an Gespräche mit Freunden, auch an das mit einem Freund (Heinz Lohrum), der den erzkonservativen Konrad Adenauer als Separatisten bezeichnete. Das Warum habe ich mir dann später erlesen, weil ich schon nachvollziehen wollte, warum Adenauer einen ehemaligen bekannten Nazi wie Hans Globke als die graue Eminenz hinzu holte.

Was für eine Zeit, in der wir leben! Wie können wir dies unseren Kindern vermitteln, wenn heute so vieles auf sie einstürmt? Es sind ja die Enkelkinder, für die wir diese Ereignisse aufzeichnen müssen. Wie können sie das alles verstehen, wenn einige noch lebende Personen (von 80-100 Jahre alt) in der Kindheit noch kein Radio kannten, erst den Zeppelin, später Segelflieger und dann erst während des 1. und 2. Weltkrieges Flugzeuge sahen, wenn die Alten noch kein elektrisches Licht hatten und mit Petroleumlampen Licht verbreiteten, wir während des Krieges wegen der kaputten Leitungen das Wasser aus den Pumpen in den Gärten holten und heute das Wasser ein Faktor am Aktienmarkt ist, dass mir Angst wird um die Zukunft unserer Enkelkinder. Ich habe z.B. mit Gewerkschaftern und Freunden/ Freundinnen um den Erhalt der Düsseldorfer Stadtwerke gerungen, wir haben mehr als 100.000 Unterschriften für „unsere Stadtwerke“ zum Bürgerbegehren erhalten und doch hat der Düsseldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin ein Viertel verkauft und der Rat hat „abgenickt“.

Das, was uns umgibt, ist alles Politik: Vom Cent in unserer Geldbörse bis auf das Geld, das wir heute noch monatlich von unseren eingezahlten Beträgen auf der Sparkasse oder Bank haben und wegen der hohen Lebenshaltungskosten ausgeben müssen. Jedenfalls mir geht das so. Vor der Währungsreform und der Einführung des Euro hatte ich bei Eintritt in das Rentenalter 2.500 deutsche Mark monatlich, heute habe ich nach Abzug von Krankenversicherung, Pflegebeitrag u. a. etwas über 1.100 Euro, die neue Währung seit 2001.

Jetzt könnte ich wieder an den Anfang gehen! Ich habe ja meine Friedensdemonstrationen vergessen, meine Ängste im Korea-Krieg der 50er Jahre und dem Vietnamkrieg der Amerikaner. Auch, als Konrad Adenauer unbedingt die Wiederbewaffnung wollte und atomare Aufrüstung forderte. Da war der ältere Sohn gerade vier Jahre alt und ich habe am Burgplatz mit dem Sohn auf dem Arm dagegen protestiert. Nie wieder! Hatten wir doch nach dem Krieg 1945 gesagt. Und nach der Kundgebung liefen viele zum Fußballspiel – ich war empört!

Auch, als der nun 18-jährige Sohn bei der Bundeswehr schikaniert wurde, weil er eigentlich Verweigerer war und damit am Gericht nicht durchkam. Ich habe das in der Kaserne mal eben klargestellt – zum Kummer meines Sohnes. Aber wofür sind Mütter denn da! Aber: Er hat sich in dem Gespräch auch ganz schön „geschlagen“, mit Worten natürlich, und „denen“ gesagt, dass er „Drogen nehmen“ für unsozial hält. Meine Erziehung! Er weiß von mir, wie die Sozialversicherung als Solidarversicherung entstanden ist.

Es waren nicht geringe „Kämpfchen“ mit den beiden Söhnen. Der zweite Sohn ging der Frage nach der Bundeswehr aus dem Weg und dafür in den Ersatz-Dienst. Dafür opferte er viele Wochenenden, hat aber seinen Arbeitsplatz erhalten, was Mitte der 80er Jahre mal wieder nicht so einfach war.

Es ist wohl genug „Geschichte(n)“ aus einem Leben. Dabei sind die Träume auf der Strecke geblieben. Welche eigentlich außer, nie wieder Bomben und Kriege erleben müssen. Aber ist das wirklich so schade? Das Gelingen unseres Lebens ist doch auch schon ein Stück Glück, – was immer wir darunter verstehen. Zufriedenheit ist für mich beileibe keine Resignation bei dem wie wir wurden und was wir sind. Wir können den Kopf ganz schön hoch tragen.

Ich will auch nicht vergessen, dass es die Stadt-Sparkasse Düsseldorf war, die die Zeichen der Zeit erkannte und unter dem damaligen Direktor Fritz Kulins die „Frauenwoche“ in der Stadt-Sparkasse einläutete mit einer eigenen ersten Frauenbeauftragten. Es fiel Herrn Kulins sicher nicht leicht, aber er war ein kluger Mann, der erkannte, dass in Zukunft mehr Frauen ein eigenes Konto haben würden, unabhängig von ihren Männern. Unter seiner Regie auch wurden die „Kurse“ eingerichtet, dass nicht nur Geschäftsfrauen sich mit Investment befassen konnten und Bankgeschäfte ins Blickfeld der Frauen kamen.

Es nimmt kein Ende, wenn ich an die guten Frauen denke, die in den 60er/70er Jahren für die Frauen gestritten haben. Da war auch noch Herma Körding, die Malerin, die für ihre Künstlerinnen gestritten hat, dass sie endlich eine eigene Ausstellung gestalten können in Räumen, welche die Stadt sonst den männlichen Kollegen zur Verfügung stellt. Ich sehe noch vor mir die alte Messe an der Fischerstraße, in einem Zustand, den man den Männern wohl so nicht zugemutet hätte anzunehmen. Aber alle Künstlerinnen packten mit an und verwandelten dieses dunkle sowie verrottete und verrostete Etwas in eine Ausstellung der Düsseldorfer Künstlerinnen, dass es eine Freude war.

Ach ja, auch Radio habe ich mitgestaltet, in den Anfängen vom Lokalfunk. Die ersten Schritte in einem Krankenhaus mit eigenem Programm. Mehr als 10 Jahre gehörte ich „Antenne Düsseldorf“ an.

In der ganzen Zeit habe ich zwei Frauen nicht verstanden: Dr. Julia Dingwort-Nusseck (damals im WDR) und eine selbständige Geschäftsfrau, die beide sagten, sie hätten für ihren beruflichen Weg nie Frauen nötig gehabt und sähen auch nicht, warum sie anderen Frauen helfen sollten. Sie hätten ihren Weg allein gemacht. Sie sind nicht nur hochmütig, sondern haben einfach nichts verstanden.

Es hat sich vieles zum Guten verändert, aber gleichen Lohn für gleiche Arbeit gibt es immer noch nicht überall. Trotz Gesetz. Es gibt gute Sendungen im TV, zu denen wir uns äußern müssen wie auch gegen die schlechten Beispiele für und gegen Frauen. Auch gegen die Verflachung der Sender, besonders der privaten. Es ist heute nicht mehr so sehr „Kampf“ für die Frauen. Meines Erachtens bewegt sich das Rad sogar teilweise zurück und viele drehen mit daran. Wir müssen achtsam sein!

Und wenn wir „Rechenschaft“ ablegen vor uns selbst, für unser Tun, vor den Frauen heute, wie sollen die Jungen das überhaupt verstehen? Der Ausgangspunkt war für meine Generation ganz sicher das „Nie wieder!“ Nie wieder Krieg, denn jeder neue Krieg konnte nur noch verheerender sein als der 2. Weltkrieg, nachdem die „Wunderwaffe“ bekannt wurde mit dem Abwurf der Bomben auf Hiroshima mit ihrer grauenhaften Wirkung. Die Frauen waren während des Krieges nicht nur als Ärztinnen an der Front eingesetzt worden, sondern besonders in den Fabriken und „an allen Fronten der Heimat“ die Männer an deren Arbeitsplätzen zu ersetzen. Ende der 50er Jahre sprach mann ihnen das Recht zur Berufstätigkeit buchstäblich ab.

Wie sollten wir unseren in den 50er, 60er Jahren geborenen Kindern unseren Aktionismus erklären, dass wir nicht stets an Heim und Herd standen, die übrigens wegen der damaligen Wohnungsnot gar nicht so wirklich für alle zur Verfügung standen. „Du musst vernünftig sein“, „Du musst das doch verstehen“, beschworen wir im besten Wollen unsere Kinder, die die katholische Kirche dann gerne „Schlüsselkinder“ nannte. Wir Frauen wollten für unsere Kinder (!) alles besser machen als die Männerwelt bisher.

Dafür mussten wir uns aber auch selbst finden, zusammenfinden. Und wir haben von unseren Kindern dafür manches mal Unglaubliches verlangt. Wie habe ich meinem Sohn die Sozialversicherung in ihren Anfängen erklärt, dass er schließlich bei der Bundeswehr mit Überzeugung erklärte, Drogen nehmen ist unsozial, weil: die Folgen zahlt die Solidargemeinschaft. Gerade heute müssen wir gerade diese verteidigen, strebt doch die gierige Männersorte nach Privatisierung, private Versicherung, gleich den amerikanischen Verhältnissen. Während die Menschen in den USA erst die Bemühungen von Barack Obama verstehen werden, wenn die nächste Generation da hineingewachsen ist.

Rechenschaft – rechtschaffen – Recht schaffen – schaffen – Arbeit – werken und Wirken. Es liegt wohl bei nahem besehen alles beieinander. Deshalb dürfen gerade die Frauen nicht aufgeben.

(Copyright Ruth Willigalla, 40595 Düsseldorf)

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