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Monika Bunte: Autobiografisches Mosaik

Mein Lebensmotto – Sehnsucht nach Gerechtigkeit (2014)

Ich bin ein Kriegskind. Ich könnte auch sagen, ich bin ein Kind aus der Nazizeit: geboren 1933 in Soest/Westfalen. Als der Krieg im Mai 1945 zu Ende ging, war ich zwölf Jahre alt. Mein Vater war Eisenbahner und war ein halbes Jahr zuvor bei einem Bombenangriff im Dienst ums Leben gekommen. Er war trotz großen Drucks nie in die Partei/NSDAP eingetreten und hatte dadurch berufliche und finanzielle Nachteile, die die ganze Familie mit ihren sechs Kindern betrafen. Als nach Kriegsende integre Beamte gesucht wurden, war mein Vater tot. In diesem Leben konnte ihm Gerechtigkeit nicht mehr zuteil werden.

Wir waren eine reisefreudige Familie. Einmal im Jahr gab es einen Freifahrtschein für die Reichsbahn, und mein Vater und meine Mutter ließen ihn ausstellen, so weit es eben möglich war. Ein Bruder fuhr zum Beispiel - nach dem „Anschluss“ Österreichs - nach Klagenfurt. Weit, weit war die Losung.

Als nach Kriegsende und Währungsreform wieder ans Reisen mit der Eisenbahn zu denken war, fragte meine Mutter für die zwei jüngsten Töchter nach dem Freifahrtschein. Wir bekamen ihn nicht. Der Bezugsberechtigte war ja tot. Ich empfand die Verweigerung des Freifahrtscheins als grobe Unbill und tiefe Kränkung.

Meine nächstältere Schwester Gonda und ich fanden in unserem Zorn eine Lösung: wir trampten. An der Straße oder auf der Autobahn winkten wir, und selten dauerte es lange, bis uns jemand mitnahm. Ein Auto war so etwas wie eine soziale Hypothek, und wer eines hatte, war bereit, einen Tramper oder eine Tramperin mitzunehmen. An das Thema sexuelle Gefährdung haben wir gar nicht gedacht; auch nicht, wenn wir mal allein trampten. Die Zeitläufte waren nicht so sexualisiert, wie sie es heute sind.

Wie sich Ungerechtigkeit anfühlt, war mir aus der Zeit des Heranwachsens vertraut und dieses Fühlen war immer noch präsent und intensiv, als ich verheiratet war und drei Kinder hatte. Ich fing an, mich für das Thema „Soziale Sicherung bei Familienarbeit“ zu interessieren. Seit der Rentenreform 1957 ist nichts schädlicher für die Alterssicherung einer Frau, als eigene Kinder selbst zu erziehen und dabei auf eigenes Einkommen aus Erwerbsarbeit zu verzichten. Will sie eigenes Einkommen aus Erwerbsarbeit behalten, ist sie doppelt belastet. Allerdings: Doppelbelastung gibt es ja gar nicht, weil Tätigkeit in Erziehung und Pflege in der eigenen Familie nicht als Arbeit zählt.

Was liegt näher, als die Familienarbeit an sich für eine Reihe von Jahren staatlicherseits zu bezahlen und rentenwirksam anzuerkennen? Alle diese Gedanken werden in einem Verband diskutiert, in den ich gleich bei der Gründung 1979 eintrat (1) und für dessen Zeitschrift „Familienarbeit heute“ ich gelegentlich Artikel schreibe, wie sie weiter unten aufgeführt sind.

Ein anderer Verein, dessen engagiertes Mitglied ich bin, heißt „Maria von Magdala“. Er setzt sich ein für Frauenrechte in der Kirche. Ich bin katholisch sozialisiert und bin immer noch katholisch. Aber für meinen Kummer über den Zustand der römisch-katholischen Männerkirche mit der Weigerung, Frauen zum Diakonat und zum Priesteramt zuzulassen, finde ich bei „Maria von Magdala“ die wichtige und richtige Resonanz. Bei „Maria von Magdala“ finden sich Frauen (und Männer), denen Ungerechtigkeit zuwider ist und die wie ich auf der Suche sind nach Gerechtigkeit.

(1) Deutsche Hausfrauengewerkschaft, in den Folgejahren umbenannt in Verband der Familienfrauen und –männer und schließlich in Verband Familienarbeit

Düsseldorf, Mai 2014

In eigener Sache (1994)

Im Jahr 1933 geboren als letztes von 6 Geschwistern. Nach volkswirtschaftlichem Studium und einigen Jahren Büroarbeit wurde ich wegen 3 Kindern zur „Aussteigerin“. Als ich Ende der 60er Jahre wieder „einsteigen“ wollte, sagte mir die freundliche Dame beim Arbeitsamt, daß es bei so einer Ausbildung keine qualifizierte Halbtagsbeschäftigung gäbe. Und etwas anderes als eine halbe Stelle kam bei meiner Familiensituation – mit einem über achtzigjährigen Opa dabei – überhaupt nicht in Frage.

Anfang 1970 bot sich beim damaligen Lehrermangel eine Chance als Lehrerin für Sozialwissenschaften (mit ½ Angestelltenstelle).

Wenn ich mich irgendwo vorstellte, sagte ich immer: „Hausfrau und Lehrerin“.

Mit den Sommerferien 1994 wurde ich Rentnerin. Ich wurde gefeiert und bekam Geschenke. Da dachte ich: „Und wann werde ich als Hausfrau gefeiert?“ – Wir müssen unbedingt Rituale erfinden, die einem Jubiläum ähnlich sind.

Vor einem Jahr ist mein Mann gestorben. Ich bin nun das, was man „gut versorgt“ nennt, aber nicht, weil ich ein Leben lang fleißig war, sondern weil die Arbeit meines Mannes rentenrechtlich „besser“ war als das Erziehen der 3 Kinder.

Mich stört ja nicht die Tatsache, daß ich „gut versorgt“ bin. Mich stört die Tatsache, daß es bei Patriarchen (und Patriarchinnen) keine Rille im Gehirn gibt, in die die Vorstellung hineinpassen könnte, daß Familienarbeit eine eigenständige soziale Absicherung braucht, die zu „guter Versorgung“ im Alter führt.

Diese Rille will ich ziehen und deshalb bin ich gern in der dhg, seit 1979 als zunächst durchaus passives Mitglied, seit 1984 aktiv in der Ortsgeschäftsstelle Düsseldorf und seit 1987 im Landesverband NRW.

(In: dhg-Rundschau. (Hg.) Deutsche Hausfrauengewerkschaft e. V. August 3/94, S. 11.)

Wofür es sich lohnt zu kämpfen: Der Verband der Familienfrauen und -männer (vffm) (2006)

In einer vielfältig differenzierten Gesellschaft gibt es vielfältige Familienmodelle. Das heißt: das einheitliche Modell für Ehe und Familie aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entspricht nicht mehr der heutigen Lebenswirklichkeit. Das heißt aber nicht, dass es die Vater-Mutter-Kind(er)-Familie nicht gibt. Auch der vollzeiterwerbstätige Vater und die Vollzeitmutter bzw. teilzeiterwerbstätige Mutter machen zumindest bis zu einem gewissen Alter der Kinder einen großen Sektor modernen Familienlebens aus. Für diese Familienfrauen (und wenigen -männer) setzt sich der Verband der Familienfrauen und -männer seit über 25 Jahren ein. Unser Verband geht gegen die große Gedankenlosigkeit an, nur Erwerbsarbeit als Arbeit zu bezeichnen. Wir wissen, dass Sprache Bewusstsein strukturiert und verlangen, dass (derzeit unbezahlte) Familienarbeit als Arbeit angesehen wird. Die Familienmanagerin arbeitet. Punktum.

Familienarbeit ist Arbeit. Kinder werden nicht von alleine groß, sie brauchen viel Zeit und Zuwendung und eine Fülle von Handreichungen („Arbeit“) drum herum. Eine Mutter mit zwei oder drei kleinen Kindern hat eine 72-Stunden-Woche. Auch die häusliche Versorgung von kranken, behinderten oder alten Angehörigen ist Arbeit.

Wenn Eltern nicht bereit oder fähig sind, Familienarbeit zu leisten, entstehen große Defizite, die in unserer Gesellschaft immer deutlicher sichtbar werden.

Die Bindungsfähigkeit eines Menschen wird in den ersten Lebensjahren begründet. Deshalb kämpfen wir um das Recht, dass Mütter und Väter ohne gesellschaftliche Benachteiligung diese Bindungsfähigkeit bei ihren Kindern entfalten können. Nach der „Kinderzeit“ erwarten wir besondere Förderung beim Berufswechsel, um das Wort „Wiedereingliederung“ zu vermeiden.

Bei der Familienarbeit erwerben Eltern Schlüsselqualifikationen: z. B. Organisationstalent, Verantwortungsbereitschaft, Belastbarkeit, Einfühlungsvermögen, Konfliktlösungsfähigkeit, Fürsorglichkeit. Das sind Kompetenzen, von denen die Gesellschaft profitiert.

Der vffm hat lange Jahre sein Modell „Ein Gehalt für Familienarbeit“ allein vertreten. Er unterstützt nunmehr das „Manifest zum 1. Mai 2005“ (genannt PEPe – Projekt Erziehungs- und Pflegeeinkommen- ) zusammen mit einer Reihe anderer Verbände und Institutionen. Es geht um „Arbeit für alle durch Erziehungs- und Pflegeeinkommen“.

Die Finanzierbarkeit ist durch das Gutachten MAKSIME des ZAW (Zentrum für angewandte Wirtschaftsforschung, Bonn) belegt.

Ein besonderer Akzent unserer Verbandsarbeit ist unser Einsatz für ein partnerschaftliches Eherecht. Im ehelichen Güterrecht ist der gesetzliche Güterstand die sogenannte „Zugewinngemeinschaft“. Das bedeutet Gütertrennung während der bestehenden Ehe und Ausgleich des Zugewinns bei einer Scheidung. Dieses Konstrukt widerspricht dem Partnerschaftsgedanken der Ehe und wird in anderen europäischen Ländern abgelehnt.

Um Wert und Würde der Familienarbeit zur Geltung zu bringen, setzen wir uns auch dafür ein, dass die Familientätigen in Statistiken als „Arbeitende“ erscheinen. Bislang müssen sie sich als „Nicht-Erwerbspersonen“ einordnen lassen.

[Anmerkung: Monika Bunte ist Stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbandes der Familienfrauen und -männer e. V. Der Verband ging aus der Deutschen Hausfrauengewerkschaft hervor, die sich 1979 gründete. Er vertritt gemeinsam mit den angeschlossenen Organisationen die Interessen von 8000 Familienfrauen und Familienmännern. Viermal im Jahr erscheint die Zeitschrift „Familienarbeit heute“.]

(In: Lila Blätter, Nr. 32, Februar 2006. S. 78)

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